Hüften und Düfte

Arte erklärt Außenstehenden ab heute wöchentlich den Zusammenhang zwischen Sex und Pop. Los geht’s mit Elvis „the pelvis“ (23.45 Uhr, Arte)

VON KLAUS RAAB

Es gibt diese Momente in „Sex ’n’ Pop“, in denen man denkt, das könne jetzt nicht ernst gemeint sein. Aber das Schöne ist: Es ist ernst. Die Reihe ist nur in der sich besonders schön für Mehrdeutigkeiten eignenden Sprache dessen erzählt, was sie thematisiert: Sex und Pop.

Im ersten von sechs Teilen gibt ein Sexualwissenschaftler ein Interview und sagt, es habe schon vor Elvis Presleys Karriere „Oralsex zu einem gerüttelten Maß“ gegeben. Spritzig formuliert, sozusagen. Ein Musikwissenschaftler ist es dann, der mitteilen darf, dass Rock ’n’ Roll eine Intensivierung des Lebensgefühls bedeute, wobei Sexualität Teil davon sei, aber nicht die ausschließliche Komponente – auf die „Sex ’n’ Pop“ ihn im Grunde verkürzt. Die Reihe liefert also die größte Kritik an sich selbst gleich mit. Natürlich, auch Arte konstruiert sich seine Themen. Das machen alle – aber meist ohne den Hinweis, dass das selbstverständlich so ist.

Und so kann es nach diesem erklärenden Vorspiel beginnen: Little Richard singt 1955 „Tutti Frutti“. Jerry Lee Lewis heiratet seine 13-jährige Cousine. Elvis Presley steckt sich in die rosa Anzüge, die bis dahin als die Berufskleidung schwarzer Zuhälter galten, und verzückt mit seinem Timbre zu einem gerüttelten Maß die Frauen. Hier setzt die Reihe an und berichtet, in Teil 1 noch chronologisch, von einer Weltkulturrevolution durch die schwarzen Bluessänger, von einem neuen Körpergefühl, das mit ihrer Musik gesellschaftsfähig wurde. Brutaler Rassismus sei dem neuen schwarzen Sound entgegengeschlagen, heißt es da – und hier ist gleich noch ein Problem von „Sex ’n’ Pop“: Dieser Rassismus wird auf die Körperlichkeit der Musik zurückgeführt. Doch nur um die sexuelle Komponente ging es weder im Blues noch in der rassistischen Reaktion darauf.

Dennoch hat die Reihe dokumentarische und analytische Stärken, sie spannt einen Bogen zwischen San Francisco, New York und Paris, zwischen Jim Morrison und Samantha Fox, zwischen Philosophin Judith Butler, die im Geschlecht eine rein soziale Kategorie sieht, und Madonna, die Butlers Thesen praktisch umsetzte. Nur gelegentlich entsteht der Verdacht auf Beliebigkeit, wenn recht wahllos Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre auftauchen.

Richtig stark wird die Serie vom 2. Teil an, wenn sie den weiblichen Kampf um Gleichberechtigung und sexuelle Freiheit behandelt, wobei sehr unterschiedliche Wortführerinnen in Szene gesetzt werden: Yoko Ono, die sich neben den Ehefrauen der Beatles-Kollegen ihres Mannes John Lennon wie eine Außenseiterin vorkam; Jane Birkin, die für ihren ersten Mann Hausfrau spielte, um sich dann auszuziehen und mit Serge Gainsbourg „Je t’aime“ zu singen; Nina Hagen, die sagt, dass Alice Schwarzer mit ihrer Frauenfeindlichkeit sie mal am Arsch lecken könne; Peaches, die mit Titeln wie „Fatherfucker“ Geschlechterbilder im Pop hinterfragt und bedauert, dass man in Christina Aguileras „Dirrty“-Video nicht ihre Schamhaare sieht. Aguilera, die auch was sagt.

Hier, wo sich die Reihe auf die kulturwissenschaftliche Analyse konzentriert, ist sie ganz bei ihrem Thema. Sie landet in der Gegenwart, wenn sie zeigt, dass MTV einen Rückschritt für die Frauenbewegung bedeutete, wenn sie in weiteren Folgen das Homosexualität inszenierende Duo t.A.T.U., das Frauenbild des HipHop und den Wirbel um Janet Jacksons entblößte Brust aufgreift. Grenzgänger und Moralisten dürfen ihre Sicht der Dinge erklären. In vielen exklusiven Interviews, mit neuen und Archivbildern schafft „Sex ’n’ Pop“ ein Bild, das bei Interessierten vielleicht schon existierte. Aber nicht so reich an Facetten und Perspektiven. Und unbeabsichtigten Wortwitzen.

Teil 2: „Justify my love“,22. Juli, 23.40 Uhr.Teil 3: „Sexual Healing“,29. Juli, 23.05 Uhr.Teil 4: „It ain’t necessarily so“5. August, 23.25 Uhr.Teil 5: „Spice up your life“12. August, 23.20 Uhr.Teil 6: „This is Hardcore“19. August, 23.35 Uhr.