Unglück in der Sperrsitzabteilung

Stierkampf als üble Schlächterei entlarvt: Francisco de Goyas Serie „Tauromaquia“ ist derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen

Gaffendes Volk und brutale Kämpfer: Von Eleganz oder gar Kunst keine Spur

von MARC PESCHKE

In der vitalen Kraft heißblütiger Stiere sonnen sich auch Künstler gern: Picasso ist das wohl bekannteste Beispiel des Stierkampf-Afficionados, doch er ist nicht der einzige Künstler, den dieses Thema faszinierte. Ein großartiger Vorgänger Picassos ist der Spanier Francisco de Goya. Zwar hat de Goya seine zwischen 1814 und 1816 entstandene Tauromaquia eine Kunst des Stierkampfs genannt – doch die ersten Blätter der Aquatinta-Serie, die jetzt im Hegewisch-Kabinett der Kunsthalle zu sehen ist, zeigen eher dörfliche Jagdszenen. Denn was immer wieder als Kunst verklärt wurde – die Tradition, Stiere zu töten und dabei möglichst sinnlich auszusehen – zeigt sich in Goyas kleinen, holzgerahmten Radierungen oft als üble Schlächterei. Von männlicher Vitalität ist da nichts zu spüren, wenn die alten Spanier zu Pferde auf dem freien Feld Stiere jagen – so der Bildtitel. Zu sehen sind lumpige Gesellen mit Felljacken, Rauschebärten, Schnürsandalen und Pelzmützen, die einen dicken Stier umstellen und mit einer schweren Lanze töten.

Doch schon das fünfte Blatt der Serie, Der tapfere Maure Gasul ist der erste, der Stiere der Regel entsprechend mit der Lanze tötet, zeigt die erfolgreiche Annäherung an ein bis heute gültiges, perfides Regelwerk des Tötens. Mit einem prächtigen Jäckchen, Turban und Pumphose rückt der exotische Orientale dem Stier auf den Leib. Doch insgesamt sollte Goyas Serie aus 33 Blättern vor allem eine Vorstellung von den Anfängen, dem Fortschritt und der Gegenwart des Stierkampfs vermitteln. Genauso, wie sich Goya älteren Überlieferungen, wie des 1777 erschienenen Lehrbuchs Carta historica sobra el origen y progresos de las fiestas de toros en España bedient, genauso unbestechlich sieht er die Geschehnisse in den Arenen von Madrid und Zaragossa. Diese Vorstellung manifestiert sich ohne weitere Erklärung, allein durch den bloßen Anblick, meinte Goya selbst. Blatt sieben etwa erklärt den Ursprung der Widerhaken oder Bandilleras, Blatt zehn zeigt Kaiser Karl V., der in der Arena von Valladolid einen Stier getötet haben soll. Und Goya zeigt auch, was für ein fieses Spiel mit den Tieren gespielt wird: Der Pöbel schwächt den Stier mit Lanzen, Sticheln, Bandilleras und anderen Waffen heißt Blatt 12 der Serie – gleich neun Spießgesellen machen sich über einen Stier her; von Eleganz oder gar Kunst keine Spur. Außerdem ein Kampf mit ungleichen Mitteln: Auf Blatt 17 ist zu erkennen, wie die Stierkämpfer einen Esel als Schutzwall gegen den Stier benutzen, dessen Hornspitzen mit Kugeln überzogen sind. Auf Blatt 25 werden Hunde auf die Stiere losgelassen. Im Hintergrund, hinter Holzbarrikaden gesichert, das gaffende Volk. Passierte dann doch einmal etwas, kommentiert Goya mit kurioser Lakonie: Unglückliche Ereignisse in der Sperrsitzabteilung der Arena von Madrid und Tod des Alkalden von Torrejon. So kann man es auch nennen, wenn der Stier ein halbes Dutzend Menschen überrannt hat.

Goya ist nicht nur ein hervorragender Grafiker – unnachahmlich die Spannung zwischen hell und dunkel und die Modernität seiner Kompositionen – sondern auch ein genauer Chronist seiner Zeit: Die gefeierten Helden der Kämpfe, Pepe Illo, Mariano Ceballos oder Fernando del Toro, existieren heute nur noch in den Grafiken Goyas – doch er zeichnete ein präzises Bild seiner Protagonisten.

Goyas Tauromaquia beschreibt den Stierkampf in seiner Veränderung, vom Vergnügen des Adels hin zum umstrittenen Volksspektakel. Er erzählt von Artistik und Akrobatik, aber auch von der dumpfen Blutsucht der Kämpfer. Ergänzt wird die Ausstellung mit Grafiken aus der Sammlung von Klaus und Erika Hegewisch durch vier außerordentlich wertvolle, lavierte Rötel-Vorzeichnungen aus der Sammlung des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle, die bereits im Jahr 1891 durch den damaligen Direktor Alfred Lichtwark von dem Londoner Kunst- und Buchhändler Bernard Quaritch erworben werden konnten. Hier geht der Künstler noch freier zu Werke, spontan und beinahe zügellos. Komplettiert wird die Schau durch zwei Lithografien aus dem Jahr 1825, die Francisco de Goya in seinem Exil in Bordeaux geschaffen hat.

Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Hamburger Kunsthalle; bis 26.10.