Einübung ins Unmögliche

Kaum hat sich die Berliner Tanzszene Vielfalt und Renommee erarbeitet und zu friedlicher Koexistenz der Stile gefunden, ist sie wieder in die alten Heillosigkeiten gestürzt: Die Spielstättenproblematik macht ihr schwer zu schaffen

Politik, so steht es in der staatsbürgerlichen Erbauungsliteratur, Politik ist die Kunst des Möglichen. Im Kulturbereich allerdings geht es oft darum, die Unmöglichkeit zu verwalten. Jüngstes Beispiel dafür ist die Berliner Tanzszene. Seit klar wurde, dass die bisherige Hauptspielstätte der senatsgeförderten freien Gruppen, das Kreuzberger Theater am Halleschen Ufer (ThHU), aufgrund des Intendanten- und Profilwechsels ab kommender Spielzeit nicht mehr zur Verfügung steht, tut sich ein gähnender Verwaltungsabgrund auf.

Matthias Lilienthal, früher Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und ab Herbst neuer Künstlerischer Leiter der Ufer GmbH (Zusammenschluss aus Hebbel-Theater, ThHU und Theater am Ufer), beruft sich auf das neue Profil seines Hauses. Darüber weiß man zwar offiziell noch nichts, aber Namen und Stile wie Jo Fabian, Rubato, Riki von Falken, Toula Limnaios, Christoph Winkler, Ingo Reulecke, Anna Huber sind damit allem Anschein nach unvereinbar. Ihnen bleibt das ThHU jedenfalls verschlossen. Die zuständige Senatsverwaltung hatte vielleicht mit der Opernkrise zu viel zu tun oder dachte, die Tanzszene werde sich schon irgendwie einigen. Die betroffenen Choreografen haben zwar immer wieder gewarnt, aber auf Tänzer hört ja sowieso niemand.

So wird jetzt überall ratlos mit den Achseln gezuckt. Wie soll es weitergehen? Andere Spielstätten sind zu klein, schon ausgebucht, ungeeignet, desinteressiert. Wo können die Gruppen ihre Fördergelder ausgeben? Bei Nichtablieferung von Kunst droht nämlich Regress.

„Uns geht es nicht ums Jammern“, beteuert Ralf Ollertz, Komponist und mittlerweile Manager der Compagnie Toula Limnaios, „aber wir sind schon sehr enttäuscht, dass niemand dieses Spielstättenproblem ernst genommen hat, obwohl wir seit Jahren darauf hinweisen. Jetzt haben wir den Salat.“ Zum Glück hat seine Truppe vor drei Jahren eine denkmalgeschützte Turnhalle im Hinterhof einer Polizeidienststelle in Prenzlauer Berg gepachtet – eigentlich als Probendomizil. Jetzt ist „Die Halle“ erst einmal Arbeitsquartier für Limnaios und andere Künstler. Am vergangenen Wochenende war die Eröffnung als Spielstätte mit Limnaios’ choreografischen Impressionen „here to there“: vier TänzerInnen in unstetem Hin und Her, die nie wirklich vom Fleck kommen.

Das scheint auch das Schicksal der Berliner Tanzszene zu sein. Kaum hat sie sich Vielfalt und Renommee erarbeitet und zu friedlicher Koexistenz der Stile gefunden, ist sie wieder in die alten Heillosigkeiten gestürzt. Um die trendigen Ensembles von Constanza Macras, Thomas Lehmen oder Two Fish reißen sich die Veranstalter, für die anderen soll kein Platz sein. Schon gibt es Mutmaßungen, ob das Ganze nicht eine hinterhältige Spartaktik sei, ein ästhetischer Machtkampf, ein abgekartetes Spiel zeitgeistiger Sittenwächter. An solchen Spekulationen beteiligt sich Ollertz nicht. Aber auf Nachfragen bekennt er: „Ich hoffe, die Bühne des ThHU geht bei dieser Rochade nicht total zuschanden. Es ist die beste, die wir für den Tanz in Berlin haben.“

Die Halle hinter der Kaserne ist nur eine Übergangslösung, und zudem von der Company selbst finanziert. Das kann und darf nicht lange gehen. Auch wenn Kulturpolitik die beständige Einübung ins Unmögliche verlangt. FRANZ ANTON CRAMER

„Here to there“ vom 13.–17. August, 21 Uhr, Eberswalder Str. 10–11 (Eingang bei der Polizei)