Die eigene Hilflosigkeit

Mit Stolz und mit Verzweiflung erzählten die „Filmmakers Against Racism“ den jungen Leuten vom Talent Campus von ihrem sozialen Interventionskino in Südafrika

Mit Screenings in den Townships eine Diskussion anregen: das sei „the power of film“

Im „Talent Campus Magazine“ schwatzt Festivalchef Dieter Kosslick ganz schön blöd daher: Der Talent Campus habe sich als ein „starkes globales Kommunikations- und Kreativitätsnetzwerk“ etabliert, es sei nun an den diesjährigen Teilnehmern, von diesem Netzwerk zu profitieren und den Talent Campus zum Wendepunkt ihrer Karrieren zu machen. Kein schöner Auftrag für die 350 jungen Leute, ausgesiebt aus 3.834 Bewerbern, die jetzt für eine Woche in der Campuszentrale Hebbel am Ufer wild auf ihre Laptops hämmern, Experten zuhören, Projekte pitchen, fit gemacht werden und dabei etwas getrieben wirken.

Immerhin bekamen sie am Dienstag ein Gegenprogramm vorgesetzt, das die Möglichkeiten eines politischen Kinos befragte, das in Gesellschaft hineinwirken, provozieren will. Um ein Kino also, wie es Kosslick, wenn er nicht die jungen Talente, sondern den großen Wettbewerb adressiert, immer so locker bewirbt.

In einer ersten Gesprächsrunde saß das Kollektiv „Filmmakers Against Racism“ (FAR), das sich im Mai 2008 als Reaktion auf die Ausschreitungen gegen Migranten in Südafrika gegründet hat. Damals gingen in den Townships der großen Städte überwiegend arme, schwarze Südafrikaner gegen Menschen aus Simbabwe, Somalia, Mosambik vor, aus den ewig gleichen fremdenfeindlichen Motiven: Ihr nehmt uns unsere Arbeit, ihr stehlt unsere Häuser. Unzählige Menschen wurden im Zuge der Riots ermordet, unzählige vertrieben. Neun Dokumentarfilme hat das Kollektiv vor diesem Hintergrund gedreht, aus der Überzeugung heraus, etwas tun zu müssen, prekär finanziert und ohne jede Aussicht, damit Geld zu verdienen. Vier davon wurden auf der Berlinale gezeigt, jeder einzelne extrem aufwühlend, schwindelnd nah dran an den gruseligen Geschehnissen, ungläubig fragend, oft auch die eigene Hilflosigkeit ausstellend.

Wie erfüllend und gleichzeitig ermüdend ein solches Engagement für Filmemacher sein kann wurde auf dem Panel deutlich. Die Herausforderung, Politdokus eben nicht für ein westliches, über 40-jähriges Kinopublikum mit Uniabschluss zu machen, sondern für die eigenen Leute in den Townships, sei für alle Beteiligten neu und anstrengend gewesen, erzählte Initiator Rehad Desai. Während der Dreharbeiten seien sie sämtlich „emotionally messed up“ gewesen, ergänzte Omelga Mthiyane, weil es einfach nicht möglich gewesen sei, klassische „Storys“ mit versöhnlichem Ausgang zu erzählen.

Genauso enttäuschend seien die Verhandlungen mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen gewesen, das trotz aller Versprechungen die Filme bis heute nicht ausgestrahlt hat. Außerdem sei weder der Sieg der Rassisten verhindert worden noch die unehrliche Interpretation des Gewaltausbruchs durch die Regierung. Trotzdem aber würde man unermüdlich Screenings in den betroffenen Townships organisieren, um den Opfern eine Stimme und ein Gesicht zu geben und so Auseinandersetzung und Gespräch anzuregen. Denn genau das, so sagte Rehad Desai in einer Mischung aus Stolz und Verzweiflung, sei „the power of film“.

Der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán („Der Fall Pinochet“) und die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić („Grbavica“, Goldener Bär 2006) hatten auf ihrem Panel „Provoking Cinema“ vor allem mit peinlichen Übersetzungsproblemen zu kämpfen. Immerhin brachte Žbanić den Gedanken ein, dass jeder Film in seiner Essenz politisch sei, denn er basiere immer auf Entscheidungen der Regisseurin hinsichtlich des Settings, der Figuren, der Dialoge. Nicht jeder Film, der eine eindeutig politische Absicht hege, sei auf der anderen Seite auch ein guter Film. Guzmán gelang es noch, sich für einen seiner Visualität bewussten Dokumentarfilm stark zu machen: Wenn der Erzähler die ganze Zeit rede und jedes Bild mit Musik zugekleistert sei, könne man ja gleich Radio hören. Ein soziales Interventionskino solle nicht in die Falle tappen, das Bild zum Kontrapunkt von Text und Sound verkommen zu lassen.

Deutlich wurde in jedem Fall, dass Filmemacher mehr können sollten, als professionell zu netzwerken: Ob sie in akuten Fällen verantwortungsbewusst die Kamera als Tool zum Hinsehen oder ihre Entscheidungsfreiheit politisch bewusst zugunsten des Neuen, Künstlerischen nutzen – Filme können mehr sein als unterhaltsame Strategien zur Vermeidung kognitiver Dissonanz. Das hatten wir doch gehofft.

KIRSTEN RIESSELMANN