Träume im Süden

Monika Clasen, 57 Jahre, Hausfrau, wohnt in Bochum-Wattenscheid und fuhr ab 1958 nach Rimini. Aufgezeichnet von GÜNTER ERMLICH

erzählt von MONIKA CLASEN

In den Sommerferien 1958 sind wir zum ersten Mal nach Rimini gefahren. Meine Tante und ihr Sohn, meine Mutter und ich. Mein Vetter war 12, genauso alt wie ich. Italien war für mich bis dahin ein Fremdwort. Von Düsseldorf ging es mit „Scharnow-Hummel-Reisen“ im Zug nach Verona. Wir hatten ein großes Abteil mit sechs Liegen. In Verona warteten zwei Busse, um uns auf die Adria zu verteilen. Das war noch eine unendliche Fahrerei durch die Poebene, an Wein vorbei, an Reis vorbei. Der Po führte kaum Wasser. Ein Bus hatte eine Panne, sodass wir erst spät abends um neun, halb zehn total gerädert in Rimini angekommen sind. Unsere kleine Familienpension hieß „Acasamia“ und lag in der Via Parisano 34. Das war eine Stichstraße zum Strand, herrlich gelegen, von Bäumen umgeben, ein Kieshof mit Sommerstühlen und Hollywoodschaukel, was wir alles von zu Hause nicht kannten. Halt richtig sommerlich. Das Jahr davor waren wir in Nordwijk in Holland, das war eine Pleite vom Wetter her. An der Adria fand ich das Wetter so umwerfend toll. Zwei Wochen lang reiner Strandurlaub, nur Sonnenschein, nur blauer Himmel.

An dem herrlichen Sandstrand ging es immer hoch her. Eine Gruppe junger Männer versuchte, aus Spaß eine Pyramide zu machen. Es gab viel Gefrotzel und Genecke, Badekappen voll Wasser wurde auf die anderen gekippt. Wir hatten Vollpension. Morgens gab’s Knabbelsbrötchen, ziemlich hart und gut was zu kauen, Marmelade und Caffe Latte. Meine Mutter und meine Tante hatten vorsichtshalber Nescafé mitgenommen und ließen sich heißes Wasser bringen, weil der scharf gebrannte Kaffee noch ziemlich fremd war. Mittags gab’s jeden Tag Nudeln, wir aßen einen ganzen Batzen, weil wir dachten, das ist die ganze Mahlzeit. Danach kam noch ein richtiges Mittagessen, immer Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, Geflügel, Rind und Schnitzelchen, das waren aber eher Schuhsohlen natur. Und abends gab’s immer ’ne Suppe trotz der Wärme, damit wurde wohl der Salzhaushalt geregelt. Als Nachtisch mittags und abends immer Obst, Eis oder Käse.

Vier Jahre lang sind wir dann jeden Sommer ins „Acasamia“ nach Rimini gefahren. Dort war ein buntes Gemisch zu Gast, Deutsche und viele Italiener. Die Pension wurde von Jahr zu Jahr größer, der Speisesaal wurde erweitert, auf der anderen Straßenseite wurde ein Appartementhaus gebaut. 1960 haben wir zum ersten Mal die Reise selbst organisiert, wir hatten die Pension angeschrieben und sind mit dem Käfer über die Alpen gefahren. Das Jahr drauf war die schlimmste Fahrt, da hatte sich noch eine befreundete Familie mit eingehängt. Wir sind zu fünft im Käfer gefahren, drei Tage lang. Die erste Nacht ging es bis Reiden in die deutsche Schweiz, der ADAC hatte uns ein Hotel empfohlen, die zweite Nacht haben wir uns selbst am Lago Maggiore ein Quartier gesucht.

In Rimini gab’s für die Erwachsenen einige Tanzlokale open air. Da stand ein Flügel oder ein Sänger im Garten, die spielten eher Getragenes, Operetten und Opern. Ich habe erst jetzt gehört, dass Herr Berlusconi damals im Casino del Bosco gesungen hat. Wir Jugendlichen fanden das spießig, wie die Alten da rumturnten, und vergnügten uns am Strand. Wir haben auf einer kleinen Plattform getanzt. Ein Junge hatte einen heißen Plattenspieler dabei, wo man Singles einschieben konnte, Paul Anka, Elvis Presley, Pat Boone und solche Sachen. Mein Vetter hatte sich in eine Italienerin aus Reggio verguckt. Händchen halten mussten sie immer heimlich im Wasser. Ihre Brüder waren ja immer dabei. Sie war das einzige Mädchen von fünf Geschwistern, die hatten alle einen Vornamen, der mit A anfing. Das Mädchen hieß Ave, einer hieß Adolfo, einer Amos, mein Urlaubsflirt hieß Azio. Die Verständigung war mühsam, Hände, Füße, Schulenglisch.

Um zehn, halb elf gingen wir oft ins Freiluftkino. Im Riesenhof einer Priesterschule, wo sie tagsüber ihr Sportgedöns machten, wurde abends eine große Leinwand aufgestellt. Da konnten wir Filme im Original sehen, meist in Englisch mit italienischen Untertiteln, das war egal, Hauptsache Kino. Ich habe mir jedes Jahr die neuesten Scheiben aus Italien mitgebracht. Domenico Modunio, Adriano Celentano. Ich bin auf italienische Musik versessen. Letztens habe ich mir noch bei Tchibo eine CD mit italienischer Musik gekauft, Bobby Solo „Una lagrima su Viso“.

Ich liebe die lockere italienische Lebensart, man kriegt so schnell Kontakt. Irgendwer holte ein Akkordeon oder eine Gitarre raus, und das ganze Lokal trällerte dann die Schlager mit. Nach vielen Versuchen schmeckte mir auch das Essen immer besser. Und natürlich die Mode! Die italienischen Frauen trugen dunkelblaue Faltenröcke mit Blusen, darüber lässig eine dunkelblaue Strickjacke, dazu dunkelblaue Trotteurs. Das ist auch meine Richtung in der Kleidung geworden. Bis heute.