DIE HISBULLAH PROVOZIERT ISRAEL, UM ZU ZEIGEN, DASS ES SIE NOCH GIBT
: Gefährliche Taktik

Während die Bevölkerung die Parole „Waffenruhe mit den Palästinensern“ ernst nimmt und neuerdings wieder Cafés, Einkaufszentren und Strände mit hörbarem Aufatmen frequentiert, erlebt die Nordgrenze Israels seit Freitag erneut das Dröhnen von Raketeneinschlägen und den Lärm von Kampfjets. Nach mehr als sechs Monaten Ruhe trat die libanesische Islamisten-Miliz Hisbullah wieder heftig in Aktion und beschoss militärische und zivile Ziele innerhalb Israels.

Es nützte nichts, dass das israelische Militär postwendend zurückschoss und die Regierung an der diplomatischen Front aktiv wurde. Obwohl Israels UNO-Botschafter Dan Gillerman einen scharfen Protest an UNO-Generalsekretär Kofi Annan gesandt hatte, setzte die Hisbullah ihre Angriffe fort und tötete gestern einen Israeli. Die US-Regierung hat sich daraufhin veranlasst gesehen, Syrien und Libanon eindringlich zur Kontrolle der Extremistenorganisation zu mahnen. Israelische und US-Diplomaten erwägen die Möglichkeit, den UN-Sicherheitsrat einzuberufen. Dessen Vorsitz führt im August allerdings ausgerechnet Syrien.

Zu Recht wird in Israel bislang kaum für möglich gehalten, dass Syrien oder Libanon Interesse an einer Eskalation an der Nordgrenze haben. Deshalb wird auch die Erklärung des syrischen UNO-Botschafters, Faisal Mekdad, als irrelevant abgetan: Er hatte als Grund für die Hisbullah-Attacken die routinemäßige Verletzung des libanesischen Luftraums durch israelische Kampfflugzeuge ausgemacht, die gegen das Rückzugsabkommen von Sommer 2000 verstoße. Den sporadischen Beschuss durch ineffektive Flugabwehrraketen der Hisbullah hatte Israel jedoch noch lässig hingenommen. Nur: Über die Gefährdung seiner Bürger kann Israel nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Es gäbe eine Reihe von Erklärungen, weshalb die Hisbullah-Miliz gerade jetzt erneut die israelische Regierung provoziert. Es mag der 14. Jahrestag der Entführung ihres Führers Scheich Abdel-Karim Obeid nach Israel sein oder der Mord an dem Hisbullah-Aktivisten Ali Salah in Beirut vor einer Woche, der israelischen Agenten angelastet wird. Es kann auch an der Libanon-internen Opportunität liegen: Die Hisbullah muss sich immer wieder als kämpfende Miliz profilieren, um schlicht zu zeigen, dass es sie noch gibt. Angesichts von Israels Bereitschaft zum Gegenschlag und Syriens schwachem Stand bei US-Präsident Bush ist das jedoch eine gefährliche Taktik. ANNE PONGER