IN DER HITZE DES SOMMERS WILL DIE ATOMLOBBY DIE BÜRGER TÄUSCHEN
: Falsche Umweltbilanzen

Klimaschutz braucht Kernenergie. Das deutsche Atomforum begrüßt die internationalen Bemühungen, den weltweiten Ausstoß der Treibhausgase zu senken. Und nutzt diese Bemühungen für die eigene Politik. Nach Lesart des AKW-eigenen Lobbyvereins brauchen wir mehr Atomstrom – wenn das Klima nicht kippen soll. Durch die Nutzung der Kernenergie würden weltweit jährlich 2 Milliarden Tonnen Kohlendioxid vermieden, so deren Argumentation. Allein in Deutschland würden 170 Millionen Tonnen gespart, was in etwa dem Betrag entspricht, der durch den Straßenverkehr freigesetzt wird. Das Atomforum schlussfolgert: „Kernenergie stellt einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems dar.“ Man muss nicht erwähnen, dass die Lobbyisten Deutschlands Hightech-gerüstete AKWs als absolut sicher ansehen.

Und nun das: Hitze, Dürre und Debatten darüber, ob es sich beim Hoch „Michaela“ nun um extremes Wetter oder verändertes Klima handelt. Der heiße Sommer gibt also der Atomstromlobby-eigenen Argumentation auch noch Auftrieb. Nur: Der Sommer spricht der Atomargumentation in Wahrheit Hohn. Denn ein paar – zugegeben besonders heiße – Wochen reichen offenbar aus, um die Atomstromer in Verlegenheit zu bringen. Die Hitze macht den vorgezogenen Atomausstieg möglich: Da vielerorts zu wenig und zu warmes Kühlwasser zur Verfügung steht, mussten etliche AKWs ihre Leistung drosseln, einige gar abgeschaltet werden. Da hilft die ganze Hightech nichts: Die AKW-Betreiber bitten uns Kunden, „sorgsam und sparsam“ mit jenem Strom umzugehen, den sie uns doch so gern verkaufen möchten – aber nicht können.

Insofern lohnt es sich tatsächlich, sich mit den Argumenten der Atomstromer auseinander zu setzen. Klimaschutz braucht Kernenergie? Alles eine Frage des Modells, nach dem man die Emission der Kernindustrie bilanziert. Natürlich entsteht beim Betrieb eines AKW kaum Kohlendioxid. Aus einer realistischen Bilanz aber – dem so genannten primärenergetischen Ansatz – geht hervor: Regenerative Energien oder die Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgasbasis verursachen wesentlich weniger Kohlendioxid-Emissionen als Atomstrom. Berücksichtig werden müssen nämlich auch jene Emissionen, die durch die Energienutzung beim Bau eines AKW oder Endlagers entstehen. Hinzu kommen die Emissionen, die durch Transport und Veredelungsprozess des Energie erzeugenden Rohstoffes, und diejenigen, die beim Rückbau des Reaktors anfallen. Geht all dies in die Bilanz ein, sind AKWs reine Kohlendioxid-Schleudern. Aber das verschweigt das Atomforum lieber. NICK REIMER