Istanbul im Hochzeitsfieber

Der jüngste Sohn des türkischen Regierungschefs Erdogan heiratet eine 16-Jährige – arrangiert und ganz traditionell. Trauzeuge ist Italiens Premier Silvio Berlusconi

ISTANBUL taz ■ Ausnahmezustand in Istanbul. An die 20.000 Menschen strömten gestern in das Kongresszentrum am Taksim-Platz. „Hier beginnt heute die 21. Weltphilosophietagung. Wenn man bedenkt, dass Anatolien schon immer die Wiege der Philosophie war“, führte eine Reporterin aus, „ja, dass angefangen mit Nietzsche viele Denker aus Kleinasien stammen, müssen wir stolz darauf sein.“ Nietzsche aus Ephesus? „Unter anderem ist das geistige Oberhaupt der 68er-Generation, der Philosoph Jürgen Habermas, hier.“ Das geistige Oberhaupt? Um vielleicht im Talar einen Vortrag über den Anatolier Nietzsche und die Globalisierung zu halten? Um Gottes willen! Aber was machen all diese schwarz verschleierten Frauen in den vollen Bussen und die bärtigen Männer in ihren besten Sonntagsanzügen hier? Diese tausenden Polizisten überall? Und: Was hat Silvio Berlusconi in dem Rummel zu suchen?

Sie waren alle gekommen, um zwei Jaworte zu hören. Mit EU-Ratspräsident Berlusconi bekam die Hochzeit des jüngsten Sohnes des türkischen Premiers sogar einen Kopenhagener Touch. Silvio hatte „Tayyip an diesem freudigen Tag nicht alleine lassen wollen“. Dabei wollten die Erdogans keine prunkvolle Hochzeit. Man hatte für 7.000 US-Dollar einen Saal des Kongresszentrums gemietet. Statt üppigem Mahl Stehimbiss, statt Tanzmusik mystische Sufi-Klänge. Eingeladen waren nicht nur Parteifreunde, sondern auch der Krämer und Barbier aus dem Kiez.

An die 100 Kilogramm Gold wurden als Schmuck erwartet, den die Gäste den Frischvermählten umhängen wollten. Ganz zu schweigen von den „Geschenken“ derer, die sich bei dem Premier lieb Kind machen wollen – der islamische Wohltätigkeitsverein Sevkat-Der rief den Ministerpräsidenten auf, alles den Armen zu schenken, die unter dem Joch des IWF-Sanierungsprogrammes ächzen. Tayyip Erdogan schwieg. Belagert hatten Reporter seit Tagen das Haus der Braut im Stadtteil Fatih. Die Braut, im pastellfarbenen Hosenanzug mit passendem Kopftuch, kam nur einmal raus, um ihr Brautkleid anzuprobieren. Auch sie schwieg.

Was war gestern in Istanbul skandalöser? Dass die Massenblätter der Medienbosse in Erwartung satter Aufträge bei der bevorstehenden Privatisierung von Staatsbetrieben die Hochzeit zum Jahresereignis machten? Und es als völlig normal behandelten, dass die Braut minderjährig ist und mit einem Mann verkuppelt wird, den sie nur ein paar Mal gesehen hat?

Was sie darüber dachte, erfuhr man nicht. Nur sagte ihr Vater, er würde gerne bei den nächsten Wahlen zum Abgeordneten kandidieren. Die 16-jährige Reyyan brauchte einen Gerichtsbeschluss, um heiraten zu dürfen. Darin stand, dass sie geistig und physisch heiratsfähig sei. Laut Paragraph 124-2 des Zivilgesetzes dürfen Minderjährige nur heiraten, wenn es einen zwingenden Grund dafür gibt. Das Paar gab an, seit einem Jahr verlobt zu sein, und da der Bräutigam Bilal, 22, in den USA studierte, wolle Reyyan ihre Ausbildung ebenfalls in den USA fortsetzen.

Durch diese Hochzeit erfuhr die Öffentlichkeit auch von der Existenz einer islamischen Privatschule in Istanbul, die der gläubigen High Society gute Bräute züchtet, aber kein Reporter klemmte sich dahinter. Stattdessen ließ man den Verlobungsring bei einem erfahrenen Juwelier begutachten: die Initialien mit Diamanten in Gold eingearbeitet. Und: Hatte der Bräutigam seinen Anzug nicht auch aus feinstem englischen Stoff anfertigen lassen? So nahm die islamische Elite der Türkei gestern mit Applaus und Tränen, Kopftüchern, kiloweise Gold und einem Flugticket nach Amerika eine neue Etappe auf dem Weg zur Moderne. Berlusconi kann es bezeugen. DILEK ZAPTCIOGLU