Gibt die Halle Sicht für alle?

Die Stadthalle nach dem Umbau: Keine La Ola-Welle mehr, keine Brodel-Atmo? Eben wie im Theater, sagt Wirtschafts- und Kultursenator Hartmut Perschau. Doch auch Zweifel an den Gutachten und der Wirtschaftlichkeit der Erweiterung werden laut

Der Experte prognostiziert:„Ein beklemmendes Engegefühl, das Ambiente einer ,brodelnden Arena’ gibt es nicht mehr“

Bremen taz ■ Lohnt sich der Ausbau der Bremer Stadthalle? Oder wäre eine Modernisierung ohne Erweiterung der Platzkapazität ökonomisch sinnvoller? Unabhängig von der Architektur-Debatte über den für Beginn des kommenden Jahres geplanten Umbau mehren sich die Stimmen, die den erhofften wirtschaftlichen Nutzen der Maßnahme in Zweifel ziehen.

Unter anderem steht die Attraktivität der geplanten 14.300 Plätze auf dem Prüfstand. Uwe Süchting, Architektur-Professor an der Bremer Hochschule, spricht von „minderwertigen Sitzplätzen“, mit denen man den konkurrierenden Hallen in Hamburg oder Hannover keine „ernsthafte Konkurrenz“ machen könne. Der von der Hanseatischen Veranstaltungs Gesellschaft (HVG) bei Nicht-Erweiterung befürchtete „Abstieg in die Dritte Liga“ sei daher vielmehr im Fall des Umbaus zu erwarten.

Mit Computersimulationen will der Experte verdeutlichen, dass man von der geplanten Tribüne aus nur 75 Prozent der Arena einsehen könne. Beim berühmten Sechs-Tage-Rennen sei von den oberen Plätzen nur noch „knapp ein Drittel“ der Rennbahn erkennbar. Auf den schon vorhandenen Rängen hingegen sei „ein beklemmendes Engegefühl“ zu erwarten. Der Boden der oben angebauten Tribüne versperre die Sicht ins Hallenrund, „das Ambiente einer ,brodelnden Arena’ gibt es nicht mehr“.

Auch dem im Juli in Auftrag gegebenen Gutachten, das die Marktbedingungen für die Hallenerweiterung prüfen soll, schlägt Skepsis entgegen. Beauftragt ist die in Karlsruhe und Basel ansässige „Symbios“-Agentur, die vor einem Jahr bereits zu einem positiven Ergebnis gekommen war. Manfred Osthaus, früher Senatsbaudirektor und jetzt in der „Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung der Stadthalle“ aktiv, meint: „Es ist unwahrscheinlich, dass sich das Unternehmen durch eine Revision der früher gemachten Aussagen selbst ins Unrecht setzt.“

Dabei ist die Seriosität von „Symbios“ gar nicht umstritten – nur die Prämissen, unter denen es die Gutachten anfertigt. Nach Angaben der Umbaukritiker wurden von der HVG nur die Alternativen „Nichts-Tun“ oder „Erweiterung“ abgefragt, nicht aber die Marktpositionierung der Halle nach einer (allgemein für erforderlich gehaltenen) Modernisierung.

Einen ähnlichen „methodischen Kunstgriff“ hatte der Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner in Bezug auf das ebenfalls vorliegende Stadthallengutachten des „Instituts für Wirtschaftsforschung“ (BAW) – das sich aktuell auch wieder für Bremen als Musical-Standort ausspricht – moniert: Die auf fiskalische Aspekte beschränkte Untersuchung sei bei Nichterweiterung von einer absehbaren Schließung ausgegangen – „ein eher abwegiges Szenario“.

Das zweite „Symbios“-Gutachten soll laut Wirtschaftsressort-Sprecher Andreas Jacobsen „in circa zwei Wochen“ vorliegen. Doch die CDU hat sich in Person ihres neuen Fraktions-Geschäftsführers, Jörg Kastendiek, bereits eindeutig auf den Umbau festgelegt: An einem „zeitnahen Ausbau“ ginge „nichts vorbei“, erklärte dieser und „mahnte“ in einer Presseerklärung: „Stell dir vor, die Stadthalle bleibt wie sie ist – und keiner geht hin!“

Keine Spur also der „Ergebnisoffenheit“, die Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) dem Koalitionsparter SPD bei der Vergabe des Gutachtens zugesichert hatte. Allerdings spricht auch der Senator selbst von einem „Update“ der vorhandenen Expertise, nicht von einem erneuten „Prüfauftrag“.

Dabei stünden auch andere Beratungsunternehmen mit einschlägigen Erfahrungen bereit. Etwa die „Price Waterhouse“ GmbH in Frankfurt/Main, die gerade mit dem Umbau des dortigen Stadions befasst war. Die Frankfurter kamen bei einer ersten Prüfung der bisherigen Stadthallen-Gutachten allerdings zu einer kritischen Einschätzung, was sie zu einem Auftragsempfang möglicherweise nicht prädestiniert hat. Bei einer Gegenrechnung des vorliegenden BAW-Gutachtens ergäben sich sehr unwahrscheinliche Summen, die ein Tagesbesucher oder auch Übernachtungsgast in Bremen ausgeben müsse, damit sich die prognostizierten steuerlichen Effekte einstellten. Betriebswirtschaftliche Analysen seien bisher komplett vernachlässigt worden. Warum also kein Gutachten von einer bisher nicht involvierten Stelle? „Irgendwann ist eine Grenze erreicht“, sagt Jacobsen, schließlich werde das Erweiterungs-Vorhaben schon seit vier Jahren geprüft.

Derweil wird die Stadthalle zum Thema für die Sonntagsausgaben der großen Tageszeitungen. Nach der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat jetzt auch die Welt am Sonntag über die „geradezu kopflos wirkenden“ Bremer Planungen berichtet. In einem umfangreichen Artikel beschreibt sie den Hallenstreit als „Präzedenzfall“ für den Umgang mit der Nachkriegsmoderne – also „viel mehr als ein lokaler Schwank“. Nichtsdestotrotz werden örtliche Schildbürgereien wie Musicalflop oder „Ungereimtheiten“ bei der Umbau-Ausschreibung akribisch aufgeführt.

Und wie steht es nun mit den zu erwartenden Sichtverhältnissen? Perschau ist in der Welt am Sonntag dazu mit einem Satz vertreten, die an sein neues Amt als Kultursenator gemahnt: „Es ist auch im Theater so: Je weiter oben Sie sitzen, desto weniger sieht man.“ Henning Bleyl