Taxifahren – der letzte Strohhalm

betr.: „Das lange Warten für Nichts“, taz vom 2./3. 8. 03

Das Taxi ist ein öffentliches Verkehrsmittel, das ohne Subventionen fährt. Ohne die 400 Millionen Euro Subvention kostete das BVG-Ticket wahrscheinlich acht Euro – das wäre teuer! Außerdem ist eure Rechnung mit sieben Kilometer negativ optimiert, weil der Kilometer ab dem achten Kilometer nur noch einen Euro kostet. Das alles im Mix mit Kurzstrecke ohne verkehrsbedingte Wartezeit – normalerweise Bestandteil eines Taxitarifs – und ohne Mehrkosten für die Bestellung einer Taxe vor die Tür – der Einschaltpreis ist der gleiche.

Genau genommen hat sich der Taxitarif seit Mitte der 90er nicht mehr erhöht und ist inflationsbereinigt so billig wie niemals zuvor – und das für vier Personen. Vergleicht nur, was ein Auto kostet: Wertverlust, Steuern, Versicherung, Parkgebühren, Knöllchen und Unfallrisiko. BVG und Taxi sind immer noch flexibler, schneller und billiger als ein eigenes Auto, und die Transportkette als Ganzes ist auch ökologisch vorteilhafter. […]

O.K., das Problem des Taxigewerbes ist gegenwärtig das mathematische Missverhältnis zwischen der Zahl der hungrigen Taxen und der Zahl der Fahrgäste. […] Warum das so ist, darüber wird viel spekuliert, aber es hat Folgen, die oft genug beschrieben wurden: eine Tour pro Stunde; Durchschnitt: 10 Euro Umsatz/ Stunde; netto zwischen 3 bis 4 Euro pro Stunde für die Fahrer etc. […] Auf jedem x-beliebigen Taxistand ist zu besichtigen, dass meist die Hälfte der Fahrzeuge älter als acht Jahre ist. Ein neues Auto ist nicht refinanzierbar, es sei denn durch Schmu, Quersubventionierung, Schwarzgeld, Erbschaft oder selbstmörderische Selbstausbeutung. Fahrer verlangen und bekommen bis zu 50 Prozent der Kasse. Jeder kann rechnen: Sozialversicherung, Steuer, Abgaben etc. Da bleibt vielleicht noch das Geld für den Diesel.

Und hier fängt die Misere im Einzelnen an: Um irgendwie klar zu kommen, arbeiten wir noch ’ne Stunde länger, noch ’nen Tag mehr. Es gibt immer noch Kollegen, die sagen, dass sie noch 3.000 Euro Umsatz im Monat – die zum Leben notwendig wären – einfahren. Fragt man genauer nach, arbeiten sie sechs Tage in der Woche à 12 bis 14 Stunden, manchmal noch mehr. Genau genommen müsste jemand über die Taxihalten gehen und zählen: 1 – 2 – 3, du bist raus, ab morgen bist du arbeitslos. Klar, das würden wir uns nicht gefallen lassen. Bleibt also nichts anderes übrig als das durch die so genannte Marktbereinigung zu regeln: sprich uns gegenseitig in die Knie zu zwingen und Konkurs zu machen. Zunächst bleiben diejenigen auf der Strecke, die diese mörderischen Bedingungen nicht aushalten, schon gesundheitlich nicht. […]

Meine eigene Rechnung sieht so aus, dass ich als selbst fahrende Unternehmerin, nach Zahlung meiner Sozialversicherung – diesen Luxus leiste ich mir – im ersten Halbjahr 2003 durchschnittlich 700 Euro zum Leben hatte. Am Ende ist das 100 Euro mehr als Sozialhilfe bei 60 Stunden Arbeit pro Woche. Viele Kollegen zahlen keine Rentenversicherung und manche nicht einmal mehr Krankenkassenbeiträge – bei angestellten Fahrern ist die Übereinkunft gelegentlich kaum anders, oder die Firma kann gar nicht mehr zahlen. Ein Ende ist nicht abzusehen, schließlich ist Taxifahren oft der letzte Strohhalm vor dem endgültigen Aus.

Dabei ist Taxifahren eigentlich ein schöner und interessanter Beruf. Leider macht er süchtig: Ist die Kasse gut, fährt man weiter, weil … es läuft ja! Ist die Kasse schlecht, wartet man unverdrossen, weil … mit diesen Einnahmen kann ich mich zu Hause nicht sehen lassen! Wer so arbeitet, hat bald keine Freunde mehr, und wenn du keine Freunde mehr hast – kannst du auch Taxi fahren. […] Der Unterschied zum Rikschafahrer in Kalkutta ist nur mehr ein gradueller. Noch hab ich eine Wohnung, und meine Taxe ist alt und bezahlt. Mein Geld würde für eine Familie nicht reichen, und krank werden darf ich auch nicht. […] Ob Herr Rürup gelegentlich Taxi fährt? CORNELIA QUASTENBERG