Von der alten Kirche lernen

betr.: „der homosexuelle mann“ von Elmar Kraushaar, taz vom 5. 8. 03

Seit jeher gilt in der antiklerikalen Polemik als probates Mittel, den Vatikan als Orden warmer Brüder zu denunzieren (z. B. bei Uta Ranke-Heinemann: Eunuchen für das Himmelreich). Dass sich auch Homosexuelle gern dieses Mittels bedienen, hat freilich einen peinlichen Beigeschmack. Geradezu atemberaubend mutet aber die Volte an, die Elmar Kraushaar in seinem Kommentar zur jüngsten Einmischung der römischen Kurie in die Debatte um die Homoehe schlägt. Kraushaar rechnet Ratzinger und Co. gleich der eigenen schwulen Familie zu, nicht um sie als schwarze Schafe zu brandmarken, sondern um andere – aufmüpfige – Familienmitglieder anzuschwärzen.

Nicht alle taz-Leser wissen, dass Kraushaar zu den Vorkämpfern der Schwulenbewegung gehört, die die Homoehe nicht weniger leidenschaftlich als die katholische Kirche bekämpfen, weil sie sie als Verrat an den alten emanzipatorischen Zielen und als Kapitulation vor dem konservativen Wertekanon ansehen. Die Szene, die Kraushaar am Schluss seiner Polemik zeichnet, hat deshalb bei aller Irrationalität durchaus etwas Ergreifendes an sich: Da müssen die „alten Männer der Schwulenbewegung“ ohnmächtig zusehen, wie sich die „Jungen, Modernen“ (Beck und seine Konsorten vom LSVD) von ihnen abwenden und sich zu den „alten Männern von Rom“ gesellen.

So verständlich die Verbitterung auch ist, Kraushaar sollte seinen Kommentar auch zum Anlass nehmen, seine „Küchenpsychologie“ nicht nur auf andere, sondern auch auf sich anzuwenden. Dann wird er vielleicht erkennen, dass die Einführung des Vatikans in die Debatte unter den Schwulen durchaus symptomatisch ist. Sie erinnert daran, dass der Streit zwischen „Alten“ und „Jungen“ der Schwulenbewegung – auf beiden Seiten – gelegentlich in fataler Weise an die unseligen Epochen der Christenheit erinnert, als man sich im Kampf um den wahren Glauben bis aufs Blut bekämpfte und den Kontrahenten nicht als Bruder in Christo respektierte, sondern als Werkzeug Satans denunzierte. In diesem negativen Beispiel kann die noch junge Community der Schwulen durchaus noch etwas von der alten Kirche lernen.

HANS-HAGEN HAERTEL, Hamburg