LIBERIA: CHARLES TAYLORS RÜCKTRITT BEENDET DEN BÜRGERKRIEG NICHT
: Die Stunde der Wahrheit

Wenn Charles Taylor wirklich die Wurzel aller Übel in Westafrika wäre, müsste sein Rücktritt dieser Kriegsregion eigentlich Frieden bringen. Diese Annahme prägt seit Jahren die internationalen Bemühungen um ein Ende der Krise in Liberia: Immer ging es darum, den ungeliebten Machthaber möglichst effektiv aus seinem Amt zu entfernen. Es traute ihm niemand zu, von alleine zu gehen, obwohl es ohne Bürgerkrieg in Liberia schon dieses Jahr eine Präsidentschaftswahl gegeben hätte. Taylors gewaltsamer Sturz war oberstes Ziel der in Liberia kämpfenden Rebellen, seine friedliche Ersetzung durch eine neutrale Interimsregierung oberste Priorität der in Ghana tagenden zivilen Kräfte Liberias.

Und nun? Liberia bleibt ein Land im Krieg. Taylor hat im Einklang mit der liberianischen Verfassung sein Amt an seinen Stellvertreter Moses Blah übergeben, so dass es zwar einen personellen Wechsel im Präsidentenamt gibt, aber keinen Machtwechsel. Die Rebellen kontrollieren fast das gesamte Land und führen die nigerianische Friedenstruppe an der Nase herum. Sie sehen zwischen Taylor und Blah keinen Unterschied und werden den neuen Machthaber ebenso bekämpfen wie den alten.

Auch die in Ghana tagende Liberia-Friedenskonferenz steht noch immer vor der gleichen Aufgabe wie vorher: eine neutrale Interimsregierung zu bilden, die dann irgendwann unter dem Schutz nigerianischer Soldaten in Monrovia einziehen kann. Für die Zivilgesellschaftler bei der Friedenskonferenz ist Blah einfach eine Übergangslösung von hoffentlich nur wenigen Tagen Dauer. Aber es gibt derzeit wenig Grund für diese Annahme. Vielmehr drohen jetzt langwierige und komplizierte Verhandlungen und Machtproben im Viereck zwischen Blah-Regierung, Friedenskonferenz-Regierung, Rebellen und Friedenstruppe darüber, wer eigentlich welche Macht hat.

So wird Liberias Krise mit Taylors Abtritt komplizierter, nicht einfacher. Die verschiedenen Fraktionen und Interessengruppen können sich nicht mehr hinter dem kleinsten gemeinsamen Nenner „Taylor muss weg“ verstecken. Aber einen Vorteil hat diese Lage. Auch die internationale Gemeinschaft muss jetzt ihr Vorgehen ändern. Sie muss in Westafrika insgesamt Initiativen entwickeln, um Frieden zu ermöglichen. Dies ist der Moment, wo alle Akteure nicht mehr einfach gegen jemanden sein können, sondern für etwas stehen müssen. Es ist die Stunde der Wahrheit. DOMINIC JOHNSON