kinderbetreuung
: Modern wie bei Bismarck

Eltern, die arbeiten müssen, können ihr Kind in einer Kinderbewahranstalt oder bei einer Kinderfrau abgeben, wenn sie einer habhaft werden. Das ist der neueste Stand der Gesetzgebung in Sachen Kinderbetreuung. So ähnlich hätte man es zu Bismarcks Zeiten schon formuliert.

KOMMENTARVON HEIDE OESTREICH

Familienministerin Renate Schmidt hat es so natürlich überhaupt nicht gemeint. Schließlich ist die Forschung heute auf einem ganz anderen Stand. Das Kind hat ein Recht auf Bildung und muss deshalb auch Zugang zu professioneller Betreuung haben – unabhängig davon, ob die Eltern arbeiten oder nicht. Das ist der internationale Standard. Nur findet der sich nicht im Kinderbetreuungsgesetz wieder, das gestern verabschiedet wurde. Darin steht ungefähr das, was man auch schon zu Bismarcks Zeiten sagte.

Der deutsche Sonderweg in Sachen Kinderbetreuung wird auch mit diesem Gesetz nicht beendet. Um das deutsche Verständnis von Mutter-Kind-Beziehung zu verändern, hätte es wahrlich mehr gebraucht als eine unverbindliche Forderung, Kommunen sollten mehr Plätze für die Kleinen „vorhalten“. Nun steht auch noch im Gesetz, dass vor allem berufstätige Eltern diesen Anspruch haben. Das macht die Sache eher schlimmer: Schon bauen Kommunen dort Ganztagsplätze ab, wo Mütter gerade mal nicht berufstätig sind.

Aber auch ein Rechtsanspruch hätte die Lage nicht unmittelbar rosiger gestaltet. Es sind die Finanzpolitiker, die kapieren müssen, dass Kinder eine lohnenswerte Investition sind. Die Stadt Zürich errechnete vor einiger Zeit, dass jeder Franken, den der Staat in Kinder investiert, einen dreifachen Ertrag an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen bringt. Diesen Ertrag schöpfen hierzulande Bund und Länder ab, während die Kommunen auf der Investitionssumme sitzen bleiben.

Es müsste also schleunigst ein Weg gefunden werden, wie Bund und Länder sich an der Investition beteiligen könnten. Bei Eliteunis und beim Ganztagsschulprogramm hat der Bund trotz Föderalismus mitfinanziert. Bei der Frühbildung, der Basis für all die Genies, die später die Eliteunis bevölkern sollen, wird dagegen ein überaus unsicherer Finanzierungsweg gewählt. Warum? Wir seien eine „kinderentwöhnte Gesellschaft“, fasste Schmidt gestern erneut und treffend zusammen. Leider trägt auch ihre Regierung nicht wirklich dazu bei, diesen Zustand zu verändern.

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