Solargebräunt nach Athen

Beim CHIO-Reitturnier in Aachen geht es für die nationale Dressurelite auch um den Feinschliff für Olympia. Wegen der nasskalten Witterung dürfen die Pferde unter die künstliche Sonne

„Von uns wird Gold erwartet. Silber ist schon eine Enttäuschung“

AUS AACHENCHRISTIANE MITATSELIS

Rusty soll in Athen Olympiasieger werden, dafür tut Ulla Salzgeber alles – auch Dinge, die man komisch finden kann: Damit sich Deutschlands bestes Dressurpferd in diesem kühlen Sommer an die Bedingungen gewöhnen kann, mit denen es im August im heißen Griechenland zurecht kommen muss, wird der 16-jährige Wallach schon seit vielen Wochen täglich auf die Pferde-Sonnenbank geschickt: „Er mag das gern. Im Stall haben wir ein höhenverstellbares Solarium“, berichtet Rustys Besitzerin. “Jeden Tag wird er eine halbe Stunde bestrahlt. Das ist ganz wichtig. Denn ein heller Fuchs kann sich leicht einen Sonnenbrand holen.“ Beim CHIO in Aachen, wo Rusty gestern Nachmittag in der Mannschaftswertung erstmals zu klassischer Musik über das Geviert kunst-hoppeln musste (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet), ist es zwar nicht heiß wie in Athen. Trotzdem herrschen, wie Salzgeber befindet, „vorolympische Bedingungen“.

Die komplette internationale Dressur-Elite hat sich in dieser Woche auf der Aachener Soers versammelt. Sogar die Holländer sind in Bestbesetzung angetreten – was erwähnenswert ist, da sie in der Vergangenheit kurz vor Olympischen Spielen der Konkurrenz lieber aus dem Weg gingen. Und auch die sieben Wertungsrichter, die in Aachen die Noten vergeben, werden bei den Spielen in Athen zum Einsatz kommen. „Deshalb ist es so wichtig, in Aachen gut zu reiten“, sagt Vorjahressiegerin Salzgeber. Bei den Spielen in Athen ist die gebürtige Oberhausenerin, die im bayerischen Bad Wörishofen lebt und trainiert, Favoritin auf zwei Goldmedaillen – im Einzel und in der Mannschaftswertung, in der seit 1984 immer eine deutsche Equipe triumphierte.

Steter Erfolg bringt Gewöhnung mit sich – und das findet Salzgeber gar nicht gut: „Von uns wird Gold erwartet. Silber wird schon als eine Enttäuschung angesehen“, sagt die 45-Jährige. Das sei sehr ungerecht, denn: „Wir müssen mit einem Lebewesen arbeiten und können nicht einfach wie andere Sportler einen Schläger rausholen und los geht‘s.“ Salzgeber weiß, wovon sie spricht: Bei der Weltmeisterschaft im spanischen Jerez im Jahr 2002 bekam der sensible Rusty Fieber, mehr als der dritte Platz war deshalb nicht drin.

Und wie sieht es mit der Stimmung unter den deutschen Dressur-Reitern aus, die sich ja traditionell immer mal wieder in die Haare kriegen? Salzgebers Kollege Hubertus Schmidt hatte sich vor den Wettbewerben in Aachen bitterlich darüber beklagt, dass er trotz guter Ergebnisse mit seinem Ahlerich nicht für die vierköpfige deutsche CHIO-Equipe nominiert worden war. Es gilt als sicher, dass die Reiter, die in Aachen starten, auch in Athen antreten dürfen – es sei denn, sie erlauben sich ganz grobe Patzer. Man habe ihn wohl ausgeschlossen, da er keine Lobby habe, maulte Schmidt. Salzgeber zuckt mit den Schultern: „Es kommt im Leben immer vor, dass man sich ungerecht behandelt fühlt“, meint sie. „Wir streiten nicht mehr und nicht weniger als andere Menschen. Die Stimmung ist gut.“ Alle vier Aachen-Starter hätten sich am Montagabend gar zum Essen getroffen.

Ihre Teamkollegin Ann-Kathrin Linsenhoff jedenfalls ist allerbester Dinge. Als erstes Mitglied der deutschen Equipe ging die 44-Jährige auf dem 13- jährigen Renoir am Mittwoch auf das Viereck -nach ihrem Auftritt strahlte sie: „Ich bin sehr zufrieden. Es ist immer schwer, den Anfang zu machen. Es war ein sicherer Ritt.“ So sah das auch die gestrenge Jury: Nach dem ersten Tag belegte Linsenhoff Rang vier hinter Heike Kemmer auf Bonaparte. Der vierte Reiter im deutschen Team, Martin Schaudt auf Weltall, war wie Salzgeber gestern Nachmittag an der Reihe. „Ich will unbedingt nach Athen, das ist mein Traum“, sagt Linsenhoff, deren Mutter Lieselott 1972 bei den Spielen in München als erste Frau im Dressurreiten siegte.

Ann-Kathrin Linsenhoffs Renoir muss übrigens nicht auf die Sonnenbank. Er ist ein dunklerer Typ als sein berühmter Kollege Rusty.