Als Rock noch revolutionär war

Beim „Sonarsound“-Konzert auf Kampnagel trifft ehemaliger tschechischer Untergrund auf die Elektronik-Überväter Matthew Herbert und Jamie Lidell. Eine Begegnung von alter und neuer Kritik mit ungewissem Ausgang

Eben hat man sich noch über das Motto des Schleswig-Hostein-Musikfestival „Sehnsucht nach Prag“ lustig gemacht, da schlägt das Festival mit aller Macht zurück. Auf Kampnagel tritt heute Abend nämlich niemand Geringerer auf als The Plastic People of the Universe. Nie davon gehört? Dann kann das nur am Alter liegen. Die Plastic People waren DIE tschechische Untergrund-Band. Nicht Underground, Untergrund.

Es war das Verbot der Band, das den Anstoß zur „Charta 77“ gab, dem Manifest der tschechischen Dissidenten. Inzwischen ist mit Vaclav Havel einer der Mitunterzeichner der Charta tschechischer Präsident gewesen, und auch die Plastic People sind nicht mehr da, wo sie waren. Trotzdem lassen sie die alten Zeiten wieder aufleben und geben auf Kampnagel das Remake eines Konzertes von 1979, auf dem sie staatskritische Texte vertonten.

Inzwischen freilich ist der Staat ein anderer, und es wird interessant sein festzustellen, ob die Kritik noch greift. Ziemlich sicher kann man sich da allerdings bei den Herren Matthew Herbert und Jamie Lidell sein, den großen Männern der Elektronik-Avantgarde, die ebenfalls heute Abend auf Kampnagel zu Gast sind. Besonders Herbert ist berühmt für seine beinahe Andorno-kompatiblen Systemanalysen, in denen er gerne die Produktionsbedinungen seiner eigenen Musik im Spätkapitalismus reflektiert.

So schön sind diese Analysen, dass das Intellektuellen-Musikorgan Spex sich dazu verstieg, Herbert den „Dogma-Oscar für: Literaturliste, Arbeit, Geschichtsbewusstsein, Political Correctness und in den Pausen mit Filzstift geskribbelte Academic Bigband-Arrangements“ zu verleihen. „Dogma-Oscar“ ist vielleicht ein bisschen hart gesagt, aber es trifft schon was.

Und so passen sie womöglich doch zusammen, die alten und die neuen Kritiker, die heute beim Sonarsound-Konzert aufeinander treffen. Es wird auf jeden Fall interessant. wie

Freitag, 21 Uhr, Kampnagel