Da wächst das Rettende nicht

Wo sich die Freunde von Zombies und Racheengeln mit anderen Körperteilfanatikern treffen: Das Fantasy Film Fest ist ein idealer Ratgeber im Umgang mit den Grenzerfahrungen der Adoleszenz

von DIETMAR KAMMERER

Es ist bereits der 17. Geburtstag. Damit liegt das „Internationale Festival für Science Fiction, Horror und Thriller“ immer noch ein Jahr vor Volljährigkeit, also in einem Alter, in dem der staatliche Jugendschutz es einem verbietet, sich ins „Yakuza Horror Theater“ eines Takashi Miike zu verirren und sich dessen „Gozu“ anzuschauen. Das gilt auch für Park Chan-wooks skrupellose Nierenhändler und ihre taubstummen Racheengel oder Michael & Peter Spierigs wiederkehrende Untote, die in „Undead“ mit Schrotflinten, Mistgabeln und Killerfischen bekämpft werden müssen.

Die Grenze zum Erwachsensein ist das Alter, in dem solche Erzählungen den meisten Spaß machen, da sie ja genau davon erzählen, was passiert (und was mit einem selbst passiert), wenn gewisse Grenzen, die Kultur, Lehrer oder die eigene Schüchternheit setzen, überschritten werden. Nimmt man das Wort vom Kino als „Erziehungsanstalt“ ernst, dann haben Filme aus den B-Regalen gerade für die Adoleszenz erstaunlich viel zu bieten. Zum Beispiel einen abgeklärten Blick auf den Körper – was vor allem die zu schätzen wissen, die frisch durch die Abgründe der Pubertät gegangen sind.

Denn „Splatter“ heißt genau genommen: keine romantische Verklärung oder Tabuisierung von Körper und Anatomie, sondern seine materiellen (und kulinarischen) Tatsachen ungeschönt in den Blick nehmen. Sechzig Kilo Teenagerfleisch, das braucht so und so lange, bis ein Eintopf draus wird, das sieht man in Rob Schmidts „Wrong Turn“. Nützlich ist es auch zu wissen, welches soziale Gruppenverhalten von einem frisch infizierten Zombie zu erwarten ist. Die grundsätzliche Lehre des Festival-Programms lautet: Vertraue nichts und niemandem – am wenigstens dem Filmemacher, der dich schon hinter der nächsten absonderlichen Plotwendung in die Falle laufen lassen wird.

Wertvolles erfährt man auch über die Gefahren des Straßenverkehrs. Sekundenschlaf am Steuer entscheidet das Schicksal einer Familie in „Dead End“. Wie in einer Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges gerät hier ein Labyrinth, das aus einer einzigen, schnurgeraden Linyie besteht, den Ausflüglern zum Verhängnis. Seit zwanzig Jahren zu Weihnachten dasselbe Ritual, die Fahrt zu Tante und Onkel, aber diesmal hat der Vater aus Unachtsamkeit die falsche Abzweigung genommen. Was folgt, ist Waldhorror mit einem großen Schuss David Lynch: der Familienausflug als Offenbarungstrip. Die Tochter schwanger, der Sohn nimmt Drogen, der Vater will das Lenkrad partout nicht abgeben, obwohl aus der Vogelperspektive längst klar ist: Da wächst das Rettende nicht. Die Sekunde vor dem Tod ist die Stunde der Wahrheit – auch das eine Idee, die schon bei Borges zu finden ist.

Ähnlich desaströse Folgen hat Unaufmerksamkeit am Steuer in „11:14“, einer intelligenten, rabenschwarzen Komödie, die fünf Storys so lange miteinander verwickelt, bis zwei Leichen, eine Bowlingkugel, ein missglückter Tankstellenüberfall und ein abgerissener Körperteil dabei auf der Strecke bleiben. In diesem „Short Cuts“ des Slapstick-Splatter-Genrefilms spielt Hilary Swank wie immer wunderbar eine hinterwäldlerische Verkäuferin, und Patrick Swayzee überrascht angenehm als tapsig-verfetteter Vater, dessen Fürsorge für die Tochter wirklich über Leichen geht. Alle Fäden laufen um 11.14 Uhr zusammen, auch hier erschließt sich die Wahrheit immer erst, wenn es viel zu spät ist.

Einen eigenen Schwerpunkt bilden wie jedes Jahr Filme aus Asien. „Focus Asia“ vereint Animes und japanischen Schock-Horror à la „Dark Waters“ von Hideo Nakata, dazu Martial-Arts aus Hongkong („Naked Weapon“ von Ching Siu-Tung) sowie das seit einiger Zeit boomende Genre der Korea-Action. Das sind Filme, die an Rasanz, Schnittgeschwindigkeit und Durch-die-Luft-Fliegerei an Hollywood und Hongkong zugleich vorbeirauschen wollen, sich aber immer wieder in den Fußangeln des melodramatischen Augenblicks verheddern, um dann endlose Abschiede wie in „Tube“ zu inszenieren oder verwickelte virtuelle Liebesgeschichten wie in „Resurrection of the Little Match Girl“. Eine Ausnahme bildet Park Chan-wooks „Sympathy for Mr. Vengeance“, der schon im Forum der Berlinale zu sehen war: Bizarrer, kälter und erbarmungsloser hat noch keiner eine Rachegeschichte inszeniert.

Bis 20. 8., CinemaxX 7, Potsdamer Platz. Eröffnung: heute, 20.15 Uhr, mit „Identity“ von James Mangold (mehr zum Programm unter www.fantasyfilmfest.com)