Schlechte Arbeit, gutes Geschäft

Der Krieg und die Medien (I): Mit patriotischen Heldengeschichten haben Zeitungen und Fernsehen in den USA den Irakkrieg in eine Actionserie verwandelt – und sich damit allzu bereitwillig vom Pentagon für Propaganda instrumentalisieren lassen

aus Washington MICHAEL STRECK

Das Muster ist bekannt. Der Präsident erklärt die Schlacht für beendet. Die Kamerateams ziehen ab. Die Wirren der Nachkriegsordnung locken den unterhaltungsverwöhnten Fernsehzuschauer schließlich nicht mehr hinter dem Ofen hervor. So geschehen in Afghanistan. Und auch Nachrichten aus dem Zweistromland sind wieder nahe liegenden Problemen wie der lahmen Konjunktur oder dem Wetter gewichen.

Dabei befand sich das Fernsehvolk gerade vier Wochen live im Panzerbauch und Schützengraben. Es sah Geschosse fliegen und Panzer durch die Wüste jagen, verwundete Soldaten und Tote. Dramatische Musik, Computeranimationen, Heldengeschichten und visueller Dauerbeschuss verwandelten die Kriegsberichterstattung in eine Actionserie. Der „Showdown Irak“ ließ die Einschaltquoten von CNN, Fox News oder MSNBC in die Höhe schnellen.

„Der Krieg war prima für das Geschäft“, sagt Danny Schechter von mediachannel.org, einer unabhängigen „Watchdog“-Organisation in New York. Kritik galt als unpatriotisch und als unverschämt, wer es wagte, die „Beweise“ von Außenminister Colin Powell vor dem UNO-Sicherheitsrat anzuzweifeln. Die Verbindung von Regierung und Medien sei „skandalös“ gewesen, sagt Schechter. Die Presse sei geradezu ein „Cheerleader“ des Krieges geworden – ein Eindruck, der sich vor allem durch die omnipräsenten Militäranalysten aufdrängte, die ohne Unterlass die überlegene US-Militärtechnik priesen. Dank der erstmals zum Einsatz gekommenen „embedded journalists“ wurde der Krieg zum perfekten Reality-TV-Ereignis. Befürworter in den USA feierten die Reporter mit Stahlhelm und kugelsicherer Weste als Medienhelden, die ihr Leben für die Pressefreiheit riskieren. Gegner sahen in ihnen den gelungenen Schachzug des Pentagons, die sensationslüsterne und abenteuerhungrige Haltung von Journalisten auszunutzen, um sie letzlich nur vor den Karren der Militärs zu spannen. „Sicher ist es besser, am Ort des Geschehens zu sein, als vom Hotelzimmer in Kuwait zu berichten“, sagt Schechter. Doch diese Journalisten hätten einen einseitig militärischen Blickwinkel geliefert.

So beklagen Medienkritiker weniger, was berichtet, sondern was unterlassen wurde. Peter Y. Sussman, der nach 30 Jahren seinen Job beim San Francisco Chronicle quittierte und nun für die Society of Professional Journalists arbeitet, wirft den US-Medien vor, die kulturellen, religiösen und historischen Zusammenhänge im Irak völlig ausgeblendet zu haben: „Ich kann beim besten Willen kein wirklich unabhängiges Urteilsvermögen der US-Presse erkennen“, sagt Sussman. Moderatoren und Reporter hatten weitgehend kritiklos suggestive und unscharfe Begriffe der Regierung, wie zum Beispiel „Koalition der Willigen“, übernommen.

Die manipulative Kraft der Medien sei nirgendwo deutlicher geworden als beim Sturz der Hussein-Statue in Bagdad. Stundenlang hatten TV-Stationen die immer gleichen Bilder übertragen, „als ob es sich um die erste Mondlandung handelte“. Dabei habe sich später herausgestellt, dass dies eine von US-Soldaten initiierte Aktion war und weit mehr Journalisten bei dem Spektakel dabei waren als Iraker.

Ein anderes Beispiel für propagandistische Berichterstattung ist die Geschichte der gefangenen Soldatin Jessica Lynch. Das Heldenepos von ihrer Befreiung aus dem Krankenhaus hielt die Nation tagelang in Atem. Recherchen überwiegend nichtamerikanischer Medien lassen nun erhebliche Zweifel an der vom Pentagon offiziell verbreiteten und den US-Medien brav übernommenen Version aufkommen. Demnach stellt sich die „hochgefährliche Nacht- und Nebelaktion“ eher als harmlose Bergung, jedoch dramatisch inszeniert, dar. Doch TV-Kanäle und Zeitungen in den USA schweigen.

Auch wenn die Mehrheit der US-Bevölkerung mit der eigenen Kriegsberichterstattung – wie Umfragen belegen – zufrieden war, suchten viele Amerikaner Rettung bei britischen Medien.

„I want my BBC“, fordert Jack Nichols im liberalen Politmagazin The Nation und trifft damit den Nerv frustrierter Landsleute. Der BBC-Weltservice wurde von Lobesbriefen aus den USA überschwemmt, in Spitzenzeiten stieg die Nachfrage aus der neuen Welt um 28 Prozent. Der US-Kriegsjournalismus sei einfach nur noch „peinlich“ gewesen, schreibt Nichols.

Eine Ausnahme im Mainstream-Fernsehen bildet ABC. Der von konservativen Medien gescholtene TV-Kanal berichtete ausführlicher über die Antikriegsproteste, und in seinen Abendnachrichten rangieren die Meldungen aus dem Nachkriegsirak nicht völlig abgeschlagen nach dem dritten Werbeblock. Während die großen US-Zeitungen wie Washington Post, New York Times oder Wall Street Journal weiterhin mehrere Seiten der Situation im Irak widmen, verflüchtigt sich im allgegenwärtigen Fernsehen die Erinnerung an den Krieg und das Bewusstsein für die gewaltigen unerledigten Aufgaben in Irak.

Medienexperte Schechter, der selbst lange für ABC und CNN arbeitete, hat den Glauben an das US-Fernsehen verloren. Selten zuvor in der US-Geschichte hätte es sich so sehr für politische Zwecke instrumentalieren lassen wie während des Irakkrieges. „Weapons of mass deception“ nennt er das amerikanische Fernsehen, „Waffen der Irreführung“.