Eltern ans Haus gefesselt

Spätestens bis 2010 sollen unter Dreijährige in allen Städten betreut werden, mit dem Geld aus Hartz IV. Die Kommunen glauben nicht an das versprochene Geld und die Vervierfachung der Plätze

VON ANNIKA JOERES

Der fromme Wunsch aus Berlin wird sich im Ruhrgebiet nicht erfüllen: Am Mittwoch hatte die rot-grüne Bundesregierung das „Tagesbetreuungsausbaugesetz“ verabschiedet, das allen Kindern unter drei Jahren einen Betreuungsplatz zusichert. Doch die Kommunen im Revier sehen sich bisher außerstande, diesen Anspruch zu erfüllen.

Größtes Problem ist die Finanzierung. Die Kommunen sollen die ErzieherInnen und Betriebskosten mit den Einnahmen aus Hartz IV bezahlen. Niemand weiß allerdings bisher, ob die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht ein Nullsummenspiel ist, der nordrhein-westfälische Städtetag geht sogar davon aus, dass die Städte am Ende draufzahlen.

„Über den Witz lachen wir täglich“, sagt Jugendhilfeplaner Joachim Glenneschuster aus Recklinghausen. Auf den Tag, an dem vom Sozialamt eine Geldüberweisung komme, könne er in seinem Leben wohl nicht mehr hoffen. Dabei geht es Recklinghäuser Eltern sogar etwas besser als anderen Eltern im Revier: Vier von hundert unter Dreijähirgen können betreut werden, landesweit sind es nur drei von hundert. Die 130.000-Einwohner-Stadt will bis 2010 ihr Platzangebot verdreifachen. Herhalten sollen dafür die durch Bevölkerungsschwund wegfallenden Kindergartengruppen. Das eingesparte Geld soll Kleinkindgruppen zugute kommen.

Diese Hoffnung hegt auch Bochum. „Mit Hartz können wir ja nicht rechnen“, sagt der Leiter des Bochumer Jugendamtes Dolf Mehring. „Den Bedarf haben wir schon lange erkannt“, sagt Mehring, aber nie seien Mittel da gewesen. Auch in Bochum schließen Kindergärten einzelne Gruppen. Leicht wird die Transaktion von den drei bis Sechsjährigen zu den noch Kleineren aber nicht: „Kleinkinder sind viel teurer“. So müssen drei BetreuerInnen auf etwa 15 Null bis Dreijährige aufpassen, bei den Älteren reicht eine Aufsicht.

Auch Essen sucht nach neuen Modellen. Die CDU-regierte Stadt geht von 20 Millionen zusätzlich benötigten Euro aus, um zwanzig Prozent der Kinder zu versorgen. „Das schaffen wir niemals ohne Geld vom Bund“, sagt Jugendamtsleiter Peter Renzel. Auch er glaubt nicht an finanzielle Geschenke aus Hartz IV. „Die gehen dann sowieso erst einmal in die Konsolidierung.“ Essen will nun ebenfalls umschichten, aber auch Tagesmütter ausbilden. In 160 Stunden sollen dann vor allem Arbeitslose zu KinderbetreuerInnen weitergebildet werden, die dann in privaten Haushalten arbeiten. „Wir müssen sehr kreativ sein“, sagt Renzel.

Das wollen auch die Gelsenkirchener. Die Stadt hat zusammen mit Herne die rote Laterne unter den NRW-Kommunen: Statistisch nur 1,94 Prozent der Kinder werden betreut. „Wir sind so pleite, wir können nicht handeln“, sagt Jugenddezernent Menfred Beck. Alles was reinkäme, würde direkt in die Haushaltssicherung fließen müssen.