Zwischen Stuck und Punk

Hamburgs Tonträger-Einzelhandel hat im Schanzenviertel einen laufend expandierenden Hauptsitz. So gibt es hier mittlerweile von allem etwas – in unterschiedlicher Kombination

von Bianca Ludewig

Ein verregneter Sommer in Hamburg kann auch schön sein: CD in den Player oder Schallplatte auf den Dreher geworfen, Heizung und Licht an und dann alles voll aufgedreht. Mit der Zeit aber steht man möglicherweise vor einem musikalischen Nachschubproblem. Dann heißt es: go Tonträgermekka, go Schanze!

Denn nach vielem experimentellen Hin- und Herumziehen hat Hamburgs Tonträger-Einzelhandel dort seit einigen Jahren einen laufend expandierenden Hauptsitz. Vor zehn Jahren teilten noch fünf Plattenläden das Territorium unter sich auf. Zwei davon, „Slam“ und „Rekord“ (ehemals „Mythos“), sind geblieben, doch daneben sind zahlreiche Neue dazu gekommen. So gibt es hier mittlerweile von allem etwas – zu sinkenden Preisen, denn sowohl Vinyl als auch CDs werden gerade billiger. Gartis dazu: Die Verkäufer, denen man beim Kaufen und Tauschen von Tonträgern begegnet, und die teilweise direkt aus Nick Hornbys Plattenladen-Roman High Fidelity stammen könnten.

Zurück zur Schlecht-Wetter-Stimmung. Da kämen als Sofort-Heilung karibische Vibes in Frage. Auf die Riddims und Versions dieser Welt – und vor allem Jamaicas – treffen wir bei „Selekta“ in der Bartelsstraße. Hier findet sich einiges gegen Sommer-armut: Reggae, Dancehall, Ska oder Soca. Und neben LP und CD glänzt hier noch die kleine 7-Inch-Single als Star der Szene.

Im Schulterblatt gegenüber vom Radiosender FSK versucht sich derweil „Zardoz“, der Frischling im Viertel, am Modell des Combined-Shopping. Neben Tonträgern aller erdenklichen Musikstile gibt es dort auch Bücher und Getränke. Der Restpostensupermarktlook mit blau-weißem Schild à la Budni ist zwar wenig einladend, drinnen aber versinkt man in der Flut des Angebots, und die rot-beige Bücherecke beim Getränketresen bietet Geschmacksasyl.

Ähnlich breit sortiert ist man bei „Slam“ und „Scratch Records“. Letzterer ist mit seinem schrullig-chaotischen Ambiente eine wahre hornbysche Live-Animation – nur dass man hier auch gerne mal freundlich ist. Ein kleineres, aber auch vielseitiges Angebot haben „Back Records“ in der Wohlwillstraße, „Rough Trade“ im Karoviertel oder „Stash Records“ gegenüber der Flora. Da kann man noch ordentlich in bunten Plattenkisten stöbern und Second Hand-Schnäppchen finden.

Junggesellendesign

Eine ganz andere Welt tut sich inmitten der offenen Koffein-Szene an der Piazza auf. Bei „Rekord“, ehemals die „Rekord“-Filiale „Plastik“, lässt sich unter Stuck, in geschmackvollem Nussbaum-Retro-Minimal-Ambiente, ein überschaubares, aber reichhaltiges Indie-, Elektronik- oder HipHop-Angebot genießen. Eine Herausforderung allerdings ist es, den wenig kommunikativen Verkäufer-Inhabern Rat oder gar Gespräch zu entlocken. Aber immerhin beweisen sie Geschmack.

Was man, zumindest die Gestaltung betreffend, von vielen Geschäften dieser Ausrichtung nicht behaupten kann. Alle Plattenläden in Schanze und Umgebung werden von Männern betrieben, darum trifft man oft auf einfallsloses Junggesellendesign. Zwei stilistische Ausnahmen befinden sich in direkter Nähe zum Heiligengeistfeld. Ehemals führend in Sachen Stil war „Otaku“ an der Feldstraße. Dort spezialisierte man sich auf den Elektronik- und Dancefloor-Bereich, deshalb gibt es nur Vinyl. Vor oder nach dem Plattenshoppen kann man sich beim integrierten Friseur „Bastian“ die Haare stylen lassen. Da „Otaku“ sein Angebot vergrößert hat, wurden dort Funierplatten-Konstruktionen aufgestellt, wo einst das schwarze Gold unter üppigen 70er Jahre Lampen harmonisch in Einkaufswagen ruhte.

Führend in Sachen Geschmack ist nun „Soon Come“ in der Wohlwillstraße. Der kleine Laden ist Plattendealer, DJ-Equipmenthändler und Fahrradwerkstatt in einem, weshalb es dort meist nach Gummi riecht. Draußen verschönern üppige Ghettoblastergehäuse den Eingangsbereich. Auch der Tresen ist ein großer Ghettoblaster, und unter einer rosa Schäfchentapete kann man Old- und Newschool HipHop-Platten an einem amtlichen DJ-Setup ausprobieren; auch Raritäten und Klassiker wie der Mohammed-Ali-Sampler oder Peaches haben dort ein vorübergehendes Zuhause. Die Fahrradkuriere, die auch die legendären Block-Partys organisieren, arbeiten hier an ihren freien Nachmittagen, weshalb der Laden erst ab 15 Uhr öffnet. Aber auch nicht jeden Tag. Weswegen wohl jemand weise neben die Eingangstür schrieb: „Von allen Arten, Pleite zu machen, wird eure die coolste sein!“

Ein weiteres Liebhabe-Objekt findet sich in der Marktstraße, Ecke Grabenstraße: der „Fischkopp-Plattenshop“. Drinnen in dem kleinen, aber feinen Punkladen ist es dunkel, von der Decke hängen Eierkartons und grobmaschige Netze, von den Wänden schauen Gasmaskengesichter, die auf Bayerns Atomangriff warten. Im „Fischkopp-Plattenshop“ gibt es neben einer gelungenen Auswahl von Schallplatten auch einige CDs und eine umfangreiche Button-Sammlung, die dazu auffordert, Banden zu bilden, Veganer zu werden oder den Widerstand zu globalisieren.

Freunde artverwandter Musikstile sind auch zwischen Tattoo- und Nietenpower bei „Burnout“ in der Wohlwillstraße gut aufgehoben. Oder bei „Championship Records“ in der Susannenstraße. Das kleine Geschäftchen, das 60s, Surf, Trash und Independent anbietet, hatte schon an verschiedenen Orten sein Gück versucht und ist seit einigen Jahren gegenüber von der Post zuhause. Der einstige Name „Subsound“ wurde vom ehemaligen Geschäftspartner „Nusound“, der sich auf neuere Dancemusik spezialisierte und stets durch laute Goamusik und überteuerte Raritäten auffiel, inzwischen für sich reklamiert. Die Goamusik ist verstummt, die Preise sind gemäßigter und das Angebot hat sich auf andere musikalische Bereiche und weitere Konsumgüter ausgedehnt.

Kunst und Klamotten

Ein Angebots-Prinzip, dem auch „Sensi Soldier“ huldigt. In dieser modernen Boutique hat man sich, neben Kunst und Klamotten, auf Jungle/Drum and Bass der 90er Jahre spezialisiert. Zudem findet man dort ein umfangreiches Angebot des leider aussterbenden DJ-Mediums Mixtape, das sonst nur noch beim Platten- und Sprühdosenladen „Underpressure“ im Karoviertel zu finden ist. Diese Jungs haben ihre Plattenabteilung unter dem Projektnamen „CheckoutRecords“ erheblich vergrößert, um nun neben Writern auch DJs und Sammler glücklich zu machen.

Ist die richtige Musik gefunden, um die Erinnerung an Sonne in unsere Herzen zu pflanzen, so werden wir über dem Wetter stehen. Und dann wird vielleicht doch noch ein bisschen Sommer kommen. So wie der Bus kommt, wenn man sich gerade eine Zigarette angezündet hat.