Tunnelblick nur für die Bahn AG

In zwei Jahren soll der Nord-Süd-Tunnel der Bahn fertig sein. Die Grünen wollen in der Röhre nicht nur Fernzüge sehen, sondern auch S-Bahnen. Bahn AG und Rot-Rot können sich damit nicht anfreunden

VON STEFAN ALBERTI

Ingeborg Junge-Reyer gehört zu den Menschen, die dem Nord-Süd-Tunnel, der künftigen zweiten Anbindung des Lehrter Bahnhofs, erst mal nur Positives abgewinnen. „Wertvolle Impulse für die Entwicklung Berlins“ sah die SPD-Stadtentwicklungssenatorin nach einem Rundgang durch die noch gleislosen Tunnelröhren, zudem einen Teil eines der „modernsten und attraktivsten Bahnsysteme weltweit“.

Franziska Eichstädt-Bohlig ist skeptischer. Das liegt daran, dass die grüne Bundestagsabgeordnete und Verkehrspolitikerin aus Charlottenburg-Wilmersdorf um eine Forderung ihrer Partei fürchtet. Die Grünen pochen darauf, dass in den neuen vier Tunnelröhren nicht nur Fernzüge, sondern auch S-Bahnen fahren. Die Bahn mag sich jedoch mit einer neuen S-Bahn-Linie nicht anfreunden, die als S 21 firmieren würde.

Weit zurück schon reicht das Projekt, für eine solche S 21 einen eigenen Tunnel zu graben. Diese Pläne, das weiß Eichstädt-Bohlig, sind angesichts der Finanzmisere in Bund und Land auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Doch wieso nicht stattdessen die Fernbahntunnel für die S-Bahn nutzen? Eichstädt-Bohlig geht davon aus, dass die Deutsche Bahn zumindest vorerst nur zwei der vier Gleise nutzt. Das sah im März auch der damals noch amtierende Senator und Junge-Reyer-Vorgänger Peter Strieder (SPD) so. Die Bahn werde „mindestens in einer längeren Anfangszeit möglicherweise nicht alle Schienen brauchen“, sagte er im Abgeordnetenhaus.

Die Grünen stützen ihre Forderung auf zwei Gründe: Zum einen kämen S-Bahn-Nutzer von Süden und Norden direkt und ohne Umsteigen an den zukünftigen Fern- und Regionalbahnhöfen Papestraße und Gesundbrunnen zum Lehrter Bahnhof. Zum anderen wäre eine direkte Nord-Süd-Verbindung, die zwischen Potsdamer Platz und Gesundbrunnen nur einmal hielte, nämlich am Lehrter Bahnhof, deutlich schneller als die jetzige Verbindung mit der S 1 oder S 2 über den Bahnhof Friedrichstraße. Sie hält auf diesem Abschnitt nicht ein-, sondern fünfmal.

Laut Eichstädt-Bohlig hatten die Grünen zu Jahresbeginn auf Bundesebene durchgesetzt, dass Möglichkeiten für eine S 21 zumindest geprüft werden. Davon hätten die Grünen abhängig gemacht, sich einer Weiterfinanzierung der höchst umstrittenen U-Bahn-Linie 5 vom Lehrter Bahnhof zum Alexanderplatz nicht zu widersetzen.

Die Bahn führt in einem Zwischenbericht drei Varianten auf und hält dabei nur einen S-Bahn-Pendelverkehr zwischen Papestraße und Gesundbrunnen im 10-Minuten-Takt für machbar. Für den zuständigen Bahn-Manager Peter Debuschewitz wäre das „bei rechtzeitiger Entscheidung ab Mitte 2006 möglich“. Nach seiner Schätzung müsste das Land Berlin der S-Bahn GmbH – Tochter der Deutschen Bahn – für diese Verbindung mindestens 2 bis 3 Millionen zusätzlich auf den Tisch legen.

Debuschewitz führt vor allem Kosten gegen einen durchgängigen S-Bahn-Verkehr an: 15 bis 20 Millionen Euro Umbaukosten wären demnach vor allem für zusätzliche Weichen fällig, 50 bis 60 Millionen für die erforderlichen neuen S-Bahn-Wagen, so genannte Duo-Wagen, die so heißen, weil sie Strom sowohl auf S-Bahn-Weise von der Seite wie auf Fernzugart aus der Oberleitung abgreifen können. Zudem wären die Wagen laut Debuschewitz nicht vor 2008 lieferbar.

Eichstädt-Bohlig mag sich damit nicht abfinden. Ein Pendelverkehr kommt für sie nicht in Frage, weil S-Bahn-Fahrer dann zweimal – an jedem Ende der Pendelei – umsteigen müssten. Die Kosten für die Duo-Wagen würden sie nicht abschrecken, auf Dauer lohne sich das.

Die Verkehrspolitiker der rot-roten Koalition lehnen die Grünen-Forderung ab. „Uns wurde gesagt, das wäre nur unter erheblichem technischem und finanziellem Aufwand zu machen. Ein Pendelverkehr wäre völliger Unfug“, sagt die PDS-Abgeordnete Jutta Matuschek. Deshalb habe man die Sache nicht weiter verfolgt. Ihr SPD-Kollege Christian Gaebler kanzelt die Grünen heftiger ab: „Wir haben das doch intensiv im Verkehrsausschuss diskutiert: Das ist alles nichts Neues und nach wie vor Unsinn.“