Das neue Kontrollregime

Patriarchale Kontrolle über weibliche Sexualität ist passé. Neues Regime ist der Gentest

BERLIN taz ■ Ist das wirklich mein Kind? Die heikle Vaterfrage soll angeblich so alt sein wie die Menschheit. Wofür man so viel Verantwortung übernimmt und so viel Geld ausgibt, das möchte man schon gerne garantiert selbst produziert haben, geben nicht nur Boris Becker oder Mick Jagger zu verstehen.

Tatsächlich hängt die bange Frage mit Besitzverhältnissen zusammen: In Gesellschaften, in denen die Erbfolge matrilinear, von der Mutter zur Tochter, geregelt ist, schert man sich um biologische Väter weniger. So behauptet es die Forschung etwa von den berühmten Irokesen. Das Kind werde durch den Besitz der Mutter abgesichert. Ein Bruder oder derjenige, der als Partner gerade da ist, übe die Vaterfunktion aus, heißt es – wahrscheinlich etwas idealisiert. Wo aber der Mann zum Haupternährer und Besitzenden avanciert, da wird genau hingesehen.

Frauen, die Exliebhabern oder anderen Nichtpartnern ein Kind bescherten, hatten es bis vor etwa hundert Jahren nicht leicht: Der Mann konnte die Vaterschaft abstreiten, zahlte nicht – und kein Blut- oder Gentest konnte ihnen das Gegenteil beweisen. Glimpflich lief es für die Frauen dagegen innerhalb einer Beziehung: Ein Ehemann, der ein fremd gezeugtes Kind miternährte, wusste das oft sein Leben lang nicht. Das ertrug das Familienoberhaupt selbstverständlich nicht. Es errichtete ein Kontrollregime über die Sexualität der Frauen – bisweilen abstrus: So wird das Beschneiden und Zunähen der Genitalien von Frauen in einigen Gesellschaften Afrikas damit begründet, dass die Frau sonst zwangsläufig fremdgehe.

Die bürgerliche Kultur brachte eine subtilere Absurdität hervor: Der Sexualtrieb der Frau wurde jahrhundertelang einfach geleugnet. Solche Kontrollregime bleiben löchrig, weshalb der gehörnte Ehemann stets eine viel bespottete Figur blieb. Die betrogene Frau dagegen war in diesem System der Normalfall.

Das patriarchale System knirscht und knackt seit geraumer Zeit: Frauen verdienen vermehrt Geld und sind dadurch offensichtlich in der Lage, sich und auch die Kinder zu ernähren. Auch der Sozialstaat alimentiert über Kindergeld und Kinderbetreuung kräftig mit. Die Ernährerfunktion des Mannes wird unwichtiger. Das Geschlechterregime kriselt. Jetzt wird die Ehe nicht mehr selbstverständlich nur vom Mann gebrochen. Studien zeigen, dass Frauen genauso oft fremdgehen wie Männer. Sie reden nur nicht so viel drüber.

Ansonsten wird das alte Kontrollregime tendenziell abgebaut. Es gilt nun der nüchterne Tausch: Ich zahle, du versorgst das Kind. Der genetische Vaterschaftstest ist in der Tat das adäquate neue Kontrollregime dafür, denn er ist prinzipiell geschlechtsneutral. Kein Vater kann das Kind mehr verleugnen, keine Mutter mehr das fremdgezeugte Kind verheimlichen. Man könnte es Waffengleichheit nennen, wäre nicht im Moment sogar die Frau leicht im Vorteil. Denn der Staat schützt die Familie: Ein in der Ehe geborenes fremdgezeugtes Kind gilt als ehelich, der Ehemann muss es mitversorgen, wenn er der Geldverdiener ist. Diese Ungleichheit quittieren die Ehemänner nun durch heimliche Vaterschaftstests. Ein schwieriges Feld.

Was fehlt, ist also die schöne Entspanntheit gegenüber der biologischen Vaterschaft, die in den matrilinearen Gesellschaften geherrscht haben soll. Dafür müssten die Besitzverhältnisse in dieser Gesellschaft sich allerdings weiterhin ändern, und zwar radikal. HEIDE OESTREICH