Wird schon schief gehen

Drei rot-grüne Großprojekte sollen das Land wieder auf die Beine bringen. Verlierer sind wie üblich: Langzeitarbeitslose, der Osten und die Kommunen

aus Berlin ULRIKE HERRMANN
und HANNES KOCH

Wer gewinnt, wer verliert? Das ist die interessante Frage bei den drei Großreformen, die das Kabinett heute beschließen will. Auf der ellenlangen Tagesordnung stehen die vorgezogene Steuerreform, die Gemeindefinanzreform und weitere Pläne für den Arbeitsmarkt.

Bei den Arbeitsmarktreformen ist nur eines unstrittig: Es ist eine gute Idee, die Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe zusammenzulegen. Künftig sollen alle Erwerbsfähigen das so genannte Arbeitslosengeld II erhalten, ein berüchtigter „Verschiebebahnhof“ wird stillgelegt. Langzeitarbeitslose müssen nicht mehr zwischen Kommunen und Arbeitsämtern pendeln, sondern werden von „Jobcentern“ betreut. Damit aber endet die allgemeine Freude. Denn anders als das rote und das grüne Wahlprogramm versprachen, werden alle Langzeitarbeitslosen nur noch Leistungen auf Sozialhilfeniveau erhalten. Die Arbeitslosenhilfe orientierte sich jedoch am einstigen Lohn – nicht am Existenzminimum.

Gewinner sind: die öffentlichen Haushalte. Insgesamt werden bei den Arbeitslosenhilfeempfängern 6 Milliarden Euro jährlich gespart. Die Wohlfahrtsverbände warnen, künftig werden nicht mehr eine Million, sondern 1,5 Millionen Kinder auf Sozialhilfeniveau leben. Allerdings ist es kein neuer Trend, bei den Ärmsten zu kürzen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat erst jüngst darauf hingewiesen, dass der Sozialhilfesatz schon lange nicht mehr an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst wird, inzwischen liegt er 6 Prozent unter dem „gesellschaftlichen Mindestbedarf“. Ähnlich konsequent wurde bisher auch bei der Arbeitslosenhilfe gekürzt. Rot-Grün reduzierte schlicht die Beiträge, die an die Sozialversicherungen für Langzeitarbeitslose gezahlt werden. Wie das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung errechnet hat, müsste der Bund eigentlich momentan 4,5 Milliarden Euro jährlich mehr für die Arbeitslosenhilfeempfänger aufwenden.

Verlierer ist auch der Osten. Dort leben prozentual mehr Arbeitslosenhilfe-Empfänger als im Westen. Die Ministerpräsidenten fürchten nun einen Kaufkraftverlust in Milliardenhöhe – ohne Kompensation. Denn Jobs werden durch die Sparaktion nicht entstehen. Schließlich wurde die Arbeitslosenhilfe aus Steuern finanziert: Wenn man bei Langzeitarbeitslosen kürzt, senkt das die Lohnnebenkosten um keinen Cent.

Nächstes Projekt: Entlastung der Gemeinden. Sahen die Kommunen zunächst wie Gewinner aus, zählen sie sich inzwischen zu den Verlierern. Ursprünglich hatte Kanzler Schröder bei seiner Agenda-2010-Rede im Bundestag eine deutliche Steigerung der kommunalen Einnahmen versprochen. Jetzt befürchtet Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) „ein Nullergebnis im ganzen nächsten Jahr“. Die Gemeindefinanzreform sei wohl „gescheitert“, sagt auch die Städtetags-Präsidentin, Petra Roth (CDU), Udes Kollegin in Frankfurt am Main. Rund 10 Milliarden Euro betrügen die Defizite der Kommunen in diesem Jahr. Aber nur 5 zusätzliche Milliarden will ihnen der Bund durch Gewerbe- und Umsatzsteuer zubilligen. Vermutlich werden also auch nächstes Jahr weiter Schwimmbäder geschlossen und Schulgebäude verfallen.

Finanzminister Eichel hat es aber nicht leicht, ist doch sein Spielraum eingeschränkt, weil er – drittes Projekt – die letzte Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2004 vorziehen soll. 18 Milliarden Euro werden verschenkt. Auf diese Verfügungsmasse stützt nicht nur Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die Einschätzung, die lahmende Konjunktur könnte anziehen. Nimmt das Wachstum im kommenden Jahr tatsächlich zu, werden sich das Schröder & Co. als Erfolg anrechnen. Doch dürfte ein Aufschwung recht wenig mit diesem Steuergeschenk zu tun haben. Knapp die Hälfte werden die Bürger in Geldanlagen oder importierte Waren investieren.

Nicht ganz zu Unrecht weist im Übrigen die Union darauf hin, dass die Bundesregierung generös tut, sich aber ihre Einnahmeausfälle vom Bürger kompensieren lassen will. Eichel will Steuervergünstigungen in Höhe von rund 10 Milliarden Euro streichen. Zorn kommt auf, wenn dabei Berufspendler auf dem Land feststellen, dass ihnen die Entfernungspauschale halbiert werden soll, umgekehrt aber Großverdiener hunderttausende bei der Senkung der Einkommensteuersätze sparen.

Eine soziale Schieflage ist auch bei der Gemeindefinanzreform nicht zu übersehen. Freiberufler werden zwar mit meist recht geringen Beträgen an der Finanzierung der kommunalen Infrastruktur beteiligt. Doch die Unternehmen dürfen frohlocken. Nicht ihre Ertragskraft soll Grundlage der Gewerbesteuerberechnung werden, sondern der Gewinn, den sie weiterhin mit einfachen Tricks gegen null rechnen können. Es kann als sicher gelten, dass die Union dagegen aus Rücksicht auf die Großunternehmen nicht opponieren wird. Sonst aber hält sich die Opposition bedeckt, wie sie die drei Großprojekte im Bundesrat zerpflücken wird.