Plebiszit über Erdgasförderung in Bolivien

Die Frage nach der Nationalisierung steht nicht zur Debatte. Präsident Mesa möchte einen Freibrief für den Export von Erdgas, soziale Bewegungen und Gewerkschaften werben für Boykott. Steuer auf Gewinne soll steigen

PORTO ALEGRE taz ■ Mit einem Referendum über die Erdgaspolitik versucht der bolivianische Präsident Carlos Mesa die Quadratur des Kreises. Zum einen löst er damit ein Versprechen ein, ohne das er nach dem Volksaufstand im vergangenen Oktober seinen geschassten Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada gar nicht hätte beerben können. Zum anderen könnte er das Steuer gar nicht herumwerfen, selbst wenn er wollte: Internationale Kreditgeber, allen voran die USA, wehren sich vehement gegen eine Beschneidung der Macht jener Multis, die von Gasförderung und -export profitieren.

Kein Wunder also, dass die Frage nach einer Nationalisierung des Erdgasgeschäfts gar nicht auf dem Stimmzettel steht. Stattdessen muss das Volk über fünf komplizierte Fragen befinden, die alle nur das Ziel haben, die von Mesa geplanten behutsamen Korrekturen zu bestätigen. Eine Verstaatlichung sei ebenso abzulehnen wie ein „übertriebener Liberalismus“, meint der Präsident. Bolivien könne sich nicht im Alleingang von der Marktwirtschaft verabschieden und ausländische Investoren verprellen. Die 78 Verträge mit transnationalen Konzernen, die in den Neunzigerjahren im Rahmen von Sánchez de Lozadas’ Privatisierungskurs unterzeichnet wurden und bis 2036 laufen, würden nicht angetastet, haben seine Sprecher wiederholt versichert.

Danach gehen offiziell 18 Prozent der Gewinne an den Staat. Doch wie die Profite genau aufgeteilt werden, ist undurchsichtig. Für jeden in Bolivien investierten Dollar verdienten die Multis zehn, prahlte ein Manager des spanischen Erdölkonzerns Repsol-YPF vor zwei Jahren. Die Steuerlast will Mesa schrittweise erhöhen, nach Brasilien und Argentinien soll das Gas demnächst nach Mexiko exportiert werden.

„Das Gas ist wie eine Milchkuh. Wir wollen alles, nicht nur das Euter.“ Mit dieser Anspielung auf die Frage, ob der Staat das Eigentum über die fossilen Brennstoffe „am Förderungsort“ zurückgewinnen solle, begründet der Aymara-Bauernführer Felipe Quispe, warum er das Referendum als „Falle“ betrachtet. Wie Sprecher der Nachbarschaftskomitees aus El Alto, der treibenden Kraft des Volksaufstands vom Oktober, hat er zu Straßenblockaden und zur Zerstörung von Urnen aufgerufen. Óscar Olivera von der Gas-Koordination aus Cochabamba will seinen Stimmzettel mit einem großen X ungültig machen. Neue Spielregeln für die Erdgaspolitik müssten von der geplanten Verfassunggebenden Versammlung festlegt werden, fordert Olivera. In El Alto wird seit gestern gestreikt, im benachbarten Regierungssitz La Paz machten Putschgerüchte die Runde. Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“, der sich für die Präsidentenwahl 2007 gute Chancen ausrechnet, wirbt für ein Ja auf jene Fragen, die er als Ausgangspunkt für eine Nationalisierung interpretiert, will aber der Regierung keinen Freibrief für den Export ausstellen lassen. Mit dieser Haltung hat er seine früheren Bündnispartner aus den sozialen Bewegungen gegen sich aufgebracht – als „Verräter“ wurde er letzte Woche aus dem Gewerkschaftsdachverband COB ausgeschlossen.

Konservative Unternehmer aus den Förderregionen Santa Cruz und Tarija tun das Referendum schlicht als Zeitverschwendung ab. Auch innerhalb der Parteien gehen die Meinungen weit auseinander. Und unter der indigenen Bevölkerung, der Mehrheit der knapp neun Millionen BolivianerInnen, herrscht trotz einer aufwändigen Werbekampagne der Regierung vor allem Verwirrung.

Dass das Referendum zu einem Meilenstein partizipativer Demokratie werden könnte, wie Präsident Mesa einmal verkündet hat, glaubt er wohl selbst nicht mehr. Für ihn geht es morgen ums politische Überleben.GERHARD DILGER