Zahl der Woche
: Vorfahrt für Fahrgemeinschaften

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Der britische Transportminister Alastair Darling war neulich in den USA. Dort gibt es Autobahnen, so stellte er fest, bei denen während des Berufsverkehrs eine Spur für Autos mit mindestens zwei Passagieren reserviert ist. Darling war von dieser Regelung so begeistert, dass er sie zu Hause einführen will, um das britische Verkehrsproblem in den Griff zu bekommen. Staus kosten die britische Wirtschaft rund 20 Milliarden Pfund im Jahr, schätzt der Verband der britischen Industrie.

Zunächst sollen die Autobahnen M1 und M3, die nach London führen, um eine Spur verbreitert werden. Diese wird dann aber für Einzelfahrer während des morgendlichen Berufsverkehrs gesperrt sein. Wer mindestens eine zweite Person mitnimmt, soll dafür schneller vorwärts kommen.

Sollte das Experiment funktionieren, will Darling es auch auf dem Londoner Ring M25 und auf der aus Norden nach London führenden M6 probieren. In zehn Jahren, so hofft Darling, können Autofahrer mithilfe von Satellitentechnologie ohnehin für jede Fahrt zur Kasse gebeten werden.

Lastwagen müssen schon ab 2008 bezahlen. Eine Meile (1,6 Kilometer) auf der Autobahn kosten dann wahrscheinlich 20 Pence. Personenwagen haben jedoch keine Fahrtenschreiber, und so muss das geplante Fahrgemeinschaftsprojekt von der Polizei überwacht werden.

Kameras können nämlich ein Kind auf dem Rücksitz übersehen oder eine aufblasbare Puppe auf dem Beifahrersitz als echten Menschen identifizieren – ein Trick, der in den USA beliebt ist. Dort kann man auch Passagiere, meist Arbeitslose oder Kinder, mieten, um morgens schneller ins Büro zu kommen.

Die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth befürchtet, dass Darlings Projekt lediglich ein Trick ist, um mehr Straßen bauen zu können. Professor George Hazel, Transportexperte an der Universität Aberdeen, befürwortet Darlings Plan dagegen. „Es fahren viel zu viele leere Sitze im Land herum“, sagt er. „Wenn diese leeren Sitze besetzt werden können, ist das zu begrüßen.“

Der Royal Automobile Club (RAC) hält Großbritannien jedoch nicht für fahrgemeinschaftstauglich. Sein Direktor, Edmund King, sagt, dass Wohngegenden und Arbeitsplätze zu weit verstreut liegen. „Fahrgemeinschaften sind praktikabel zwischen großen Wohngegenden und kommerziellen Ballungszentren“, sagt er. „Die aber sind in Großbritannien rar.“

Außerdem teilen Briten frei nach dem Motto „my car is my castle“ ihr Auto nicht gerne. „Sie wollen das Radio aufdrehen oder in Ruhe popeln“, sagt King. „Sie wollen keine Fremden in ihrem Auto.“ Versuche in Edinburgh haben laut King ergeben, dass die Mehrheit die Einstellung hat: „Nicht auf meinem Beifahrersitz.“ RALF SOTSCHECK