Böhrnsen attackiert SPD-General

Dem Chef der sozialdemokratischen Bürgerschaftsfraktion bleibt das Attribut „sozial“ heilig: Die von Generalsekretär Olaf Scholz angestoßene Debatte über eine Modernisierung des Gerechtigkeitsbegriffs hält er für überflüssiges Sommerlochtheater

Bremen taz ■ So langsam beginnt sich auch in Bremen das politische Leben wieder zu regen. SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen hat seinen Sommerurlaub – wie es sich für einen Genossen in diesem Jahr gehört – nicht in Italien, sondern in Mecklenburg-Vorpommern verbracht. Zurück in der Hansestadt befragte ihn die taz zur jüngsten SPD-internen Debatte: Generalsekretär OlafScholz hatte seine Partei zu einer Neudefinition ihres Gerechtigkeits-Begriffs aufgefordert. Dieser solle künftig weniger für Umverteilung, sondern für Teilhabe, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung stehen.

taz: Demokratischer Sozialismus – welchen Stellenwert haben diese beiden Worte für Sie heute noch, Herr Böhrnsen? Jens Böhrnsen: Für mich gibt es überhaupt keinen Grund zu verdrängen, dass die SPD sich in ihrem berühmten Godesberger Programm von 1959 als „Partei des demokratischen Sozialismus“ bezeichnet hat. Das war damals eine ausdrückliche Gegenposition zur Pervertierung des Sozialismus im sogenannten „real existierenden Sozialismus“. Demokratischer Sozialismus, das forderte von der SPD immer eine Politik, die sich an den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität orientiert. Ich glaube, dass diese Grundwerte heute noch genauso aktuell sind wie sie es damals waren.

Dabei hat Ihr Generalsekretär Olaf Scholz doch gerade laut überlegt, den Begriff aus dem modernisierten Parteiprogramm zu tilgen, das 2004 verabschiedet werden soll...Modernisierung darf ja nicht heißen, das man vergisst, welche politischen und historischen Wurzeln man hat und welche Grundpositionen die SPD in den letzten 140 Jahren entwickelt hat. Diese sind als Kompass für politische Entscheidungen in der Alltagsarbeit unerlässlich.

Scholz macht noch einen zweiten semantischen Vorschlag: nicht mehr von „sozialer Gerechtigkeit“ zu sprechen, nur noch von „Gerechtigkeit“.

Ich hoffe, das ist in erster Linie ein Sommerlochthema und verschwindet, sobald der Sommer vorbei sein wird. Ich halte diese Debatte um den Begriff der Gerechtigkeit für völlig überflüssig und glaube nicht, dass die SPD eine Neudefinition braucht. Das Ziel sozialer Gerechtigkeit ist eine klassische sozialdemokratische Grundüberzeugung, die weder überholt ist noch ausgedient hat – gerade in Zeiten notwendiger Reformen der sozialen Sicherungssysteme ist sie von allerhöchster Aktualität. Übrigens, wenn ich mich nicht ganz täusche, haben wir uns noch im Wahlprogramm von 1998, mit dem wir Kohl abgelöst haben, ganz ausdrücklich zur sozialen Gerechtigkeit bekannt.

Was heißt das denn konkret?

Das Attribut „sozial“ drückt aus, das wir einen Maßstab haben, mit dem wir die Gesellschaft gestalten wollen. Dass wir eine solidarische Gesellschaft mit sozialer Verantwortung wollen. Wir sollten uns deshalb nicht über Begriffe streiten, sondern bei der konkreten Politik stets fragen, was das Ziel der sozialen Gerechtigkeit von uns verlangt.

Scholz hat einen umfassenderen Gerechtigkeitsbegriff gefordert. Statt Umverteilung von oben nach unten müsse die Chance auf Teilhabe aller an Bildung und Arbeit in den Mittelpunkt gerückt werden.

Wenn man sagt, Gerechtigkeit ohne das Attribut sozial sei der umfassendere Begriff, so stimmt das sicherlich linguistisch. Politisch ist es aber aus sozialdemokratischer Sicht etwas weniger. Die SPD hat im Unterschied zu den bürgerlichen und konservativen Parteien Gerechtigkeit nie nur formal betrachtet. Wir wollen soziale Verantwortung wahrnehmen, indem wir nicht nur alle gleich behandeln, sondern die, die es nötig haben, stärker fördern als andere.Interview: Markus Jox