Sichere Spiele bleiben ein großer Mythos

VON NIELS KADRITZKE

Griechische Patienten, die sich einer radiologischen Behandlung unterziehen, sollen nur noch mit ärztlichem Attest verreisen. Auf dem Athener Flughafen stehen neuerdings Kontrollportale, die bei radioaktiver Strahlung Alarm schlagen. Ein Krebspatient muss also den Verdacht entkräften, dass er eine „schmutzige Bombe“ in der Wäsche hat.

Nachrichten wie diese gehören für die Griechen zur täglichen Kost. Was das olympische Sicherheitsregime bedeutet, das für die Spiele installiert wird, beginnen die Athener erst jetzt zu realisieren. Und sie würden alle lästigen Einschränkungen in Kauf nehmen, müssten sie nicht täglich in den Schlagzeilen lesen: „Das Ausland“ zweifelt am Sicherheitskonzept für das Großereignis, das angeblich alle Spielarten des internationalen Terrorismus anzieht wie das Stadionflutlicht die Athener Motten.

Solche Kritik, nur einen Monat vor der Eröffnungszeremonie, macht die Veranstalter nervös. Gianna Angelopoulou, Vorsitzende des Athener Organisationskomitees (Athoc), konterte sogar, das Gerede könne potenzielle Attentäter auf dumme Gedanken bringen: „Fälschlicherweise zu behaupten, die Athener Sicherheitskonzeption sei lückenhaft, ist eine schlechte Präventivstrategie.“

Bodyguards aus aller Welt

Aber das Problem ist nicht wegzureden. Die anreisende Prominenz aus aller Welt ballt sich zur „höchsten Konzentration westlicher Ziele seit Jahren“, befinden Nato-Experten. Und Hellas ist nun einmal – seit Finnland 1952 – das kleinste Land, das sich eine Sommerolympiade zumutet. Zudem haben die Griechen nicht die beste Infrastruktur, woran der Stromausfall dieser Woche erinnert hat. Doch für das entscheidende Dilemma können die Veranstalter nichts. Als das IOC 1997 die Sommerspiele für 2004 vergab, konnte niemand den 11. September 2001 vorausahnen. Inzwischen haben sich die Halbgötter aus Genf mit 160 Millionen Euro gegen den olympischen Gau versichert – gegen eine Absage aufgrund eines Erdbebens oder eines terroristischen Angriffs.

Beide Horrorszenarien sind höchst unwahrscheinlich. Was al-Qaida betrifft, rechnen auch die US-Geheimdienste nicht mit einem Schlag gegen die „olympische Weltgemeinschaft“. Eher denkbar sind gezielte Terrorakte wie 1972 in München, vor allem gegen Sportler aus Ländern, die sich im Irakkrieg engagiert haben. Deshalb gibt es hinter den Kulissen ein Gezerre um die Frage, welche Delegationen eigenes Schutzpersonal mitbringen und ob die Bodyguards bewaffnet sein dürfen. Die griechischen Behörden haben wiederholt erklärt, an den Sportstätten werde es keine bewaffneten Ausländer geben, auch nicht als Begleitschutz für anreisende Politiker und Staatsoberhäupter. Die Athleten besonders gefährdeter Länder (USA, Großbritannien, Australien) sollten auf dem Weg zu ihren Wettkampfstätten von Spezialeinheiten der griechischen Armee geschützt werden. Den Grund hat ein griechischer Experte plausibel erläutert: „Ausbildung, Mentalität und Gefahreneinschätzung sind bei den Sicherheitskräften der einzelnen Länder ganz unterschiedlich. Niemand kann wissen, wie diese Leute reagieren, wenn sie eine Bedrohung zu erkennen glauben.“ Was also, wenn ein Leibwächter den Kollegen aus einem anderen Land nicht identifiziert? „Wir möchten uns nicht ausmalen, was dann passiert“, meint der Athener Experte. Sicher ist nur, dass alle Welt „die Griechen“ verantwortlich machen würde.

Aber das Prinzip ist gegenüber den politisch-sportlichen Großmächten kaum durchzusetzen. Nach Berichten griechischer Zeitungen drohen die USA – und Australien –, ihre Athleten zurückzuziehen, wenn sie keine eigenen Bodyguards mitbringen dürfen. Das scheint zu wirken. Die US-Leichtathleten, die ihr vorolympisches Trainingslager in Kreta aufschlagen, werden von 45 Sicherheitskräften begleitet. „Mindestens 24 erhielten von den griechischen Behörden die Erlaubnis, Waffen zu tragen“, heißt es dazu aus Athener Quellen. Zu glauben, diese Agenten könnten ihre Waffen vor Beginn der Spiele abgeben, ist ebenso naiv wie die Annahme, die israelischen Bodyguards im olympischen Dorf würden unbewaffnet herumlaufen.

Die Griechen werden am Ende den Großmächten noch weiter nachgeben müssen. Wie die Athener Kathimerini berichtet, hat die Regierung schon grünes Licht für eine bewaffnete US-Spezialeinheit gegeben, die auf dem Militärflughafen Elevsina stationiert sein wird, nur 20 Kilometer vom Athener Stadtzentrum entfernt. Das 500 Kopf starke eleusische Kommando soll formell der Nato unterstehen, ist aber unschwer als US-Einsatzreserve zu erkennen.

Die Nato kontrolliert die Luft

Schon um mehr Olympiatouristen anzulocken, müssen die Griechen demonstrieren, dass sie für die Sicherheit der Spiele „alles Menschenmögliche“ tun. So hat es der zuständige Minister Voulgarakis ausgedrückt, der die undankbare Aufgabe hat, die internationale Öffentlichkeit ebenso zu beschwichtigen wie die griechischen Bürger. Die aber fragen sich, ob das „Menschenmögliche“ nicht etwas teuer kommt. Auf über eine Milliarde Euro sind die Kosten für den Sicherheitsaufwand angestiegen. Sie liegen damit 60 Prozent höher als noch vor sechs Monaten und viermal so hoch wie bei Olympia 2000 in Sydney. In Athen werden 70.000 Polizisten und Soldaten im Einsatz sein. Dazu kommen die von der Nato angeforderten Kräfte. Der griechische Luftraum wird durch Awacs-Flugzeuge geschützt, die lange Küstenlinie durch Marineeinheiten aus mehreren Nato-Ländern (und Israel) überwacht, die allerdings in internationalen Gewässern liegen sollen. Und in Chalkida wird die tschechische Spezialeinheit stationiert, die bei einem biologischen oder radioaktiven Attentat eingreifen müsste.

Sicherheitsübungen sind inzwischen zur wichtigsten vorolympischen Disziplin geworden. Zu den 76 weiteren Szenarien, die durchgespielt wurden, zählt auch ein Überfall islamistischer Terroristen mit Geiselnahme auf der „Queen Mary 2“, der schwimmenden Luxusherberge im Hafen von Piräus, auf der sich Tony Blair, die meisten IOC-Funktionäre und die Bosse von Coca-Cola eingemietet haben. Oder der Abschuss einer Air-France-Maschine, ein Selbstmordattentat im Zentrum von Athen und Anthraxalarm in der Toilette einer olympischen Halle. Was die geschlossenen Sportstätten betrifft, so halten die Veranstalter die Kontrollen für bombensicher. Freiwillige Helfer und gewerbliches Personal – etwa 500.000 Menschen – wurden sicherheitsdienstlich durchleuchtet. Als besonders gefährdet gelten der Marathonlauf und das Straßenradrennen. Beide führen durch die Hügellandschaft von Attika, in der sich Heckenschützen verbergen könnten.

Der neuralgische Punkt des Sicherheitskonzepts ist jedoch die Zentrale, in der alle Überwachungsanlagen zusammengeschaltet sind. An den 125 Sportstätten werden 1.013 Kameras installiert, in den Straßen von Athen kommen 550 hinzu. Über der Stadt werden ständig zehn Hubschrauber und ein Zeppelin schweben und Bilder in die Zentrale senden. Dieses Gehirn der olympischen Sicherheit war vier Wochen vor dem 13. August immer noch nicht voll einsatzfähig. Wie die New York Times recherchiert hat, ist die Ausbildung der Techniker im Rückstand. Sie konnten statt Real-life-Einsätzen nur Trockenübungen absolvieren.

In Sydney und in Barcelona waren die Sicherheitssysteme ein Jahr im voraus einsatzfähig. In Athen entschied man sich erst 15 Monate vor Beginn der Spiele, welches Unternehmen das Sicherheitskonzept entwickeln und umsetzen soll. Das Konsortium unter Führung der US-Firma Saic war zwar verpflichtet, das System zum 28. Mai 2004 in Betrieb zu haben. Doch der Termin platzte wegen baulicher Verzögerungen, die auch mehrere sportliche Testevents verhindert haben. Die Folge sind gegenseitige Schuldzuweisungen. Während die Griechen lamentieren, es habe von Anfang an Software-Probleme gegeben, beschweren sich die Saic-Leute, sie hätten in den Stadien noch nicht mal alle Kameras installieren können. Auch die Telefongesellschaft OTE, die für die Leitungen zuständig ist, hat die vereinbarten Fristen mehrfach überzogen.

Der Projektleiter von Saic kann heute nur kleinlaut beteuern, die Überwachungszentrale werde „vor Beginn der Spiele“ funktionsfähig sein. Ob sie reibungslos funktioniert, wird sich ab dem 13. August erweisen. Doch die Sicherheitsexperten haben an alles gedacht. Bei der vorolympischen Übung „Schild des Herkules“ im März 2004 übte man auch das Szenario „Zusammenbruch des Kommunikationssystems“.

Umleitungen für die Fähren

Im Übrigen weiß jeder Experte, absolute Sicherheit ist ein Mythos. Das Athener Security-Konzept soll weniger Terroristen abschrecken als der „olympischen Familie“, den Athleten und den ausländischen Gästen, das Gefühl geben, dass man für ihre Sicherheit weder Mühen noch Kosten gescheut hat. Die gehen allerdings zu Lasten der Athener – die Mühen ab sofort, die Kosten später. Die größte Mühsal erwartet sie im Hafen von Piräus. Wer zum Inselurlaub aufbricht, muss sich auf strenge Kontrollen, also Verzögerungen gefasst machen. Denn jedes auslaufende Schiff fährt dicht an der „Queen Mary II“ vorbei. Die Regierung behält sich sogar vor, den gesamten Fährverkehr in einen anderen Hafen zu verlegen, den es freilich nicht gibt. Auf Protest der Reeder erklärte man allerdings, das sei nur für den „äußersten Fall“ vorgesehen.

Was die Kosten betrifft, zahlen am Ende ohnehin die griechischen Bürger. Schon heute steht fest, dass die olympische Sicherheit weit mehr kosten wird als die eine Milliarde Euro, die bislang veranschlagt ist.

Den höchsten Preis aber zahlen die Leute, für deren Sicherheit es keine Überwachungszentrale gibt. Die Arbeiter auf den olympischen Baustellen, die vor allem aus Albanien, aber auch aus Osteuropa oder Pakistan stammen, arbeiten seit Wochen in glühender Hitze für 35 Euro pro 10-Stunden-Schicht. Da sie als Sicherheitsrisiko gelten, hat man sie durchleuchtet und registriert. Ihre eigene Sicherheit zählt dagegen nichts. Der Termindruck, den die Bauunternehmen zur Erpressung fetter Prämien nutzen, hat das Unfallrisiko drastisch erhöht. Offiziell wurden auf den olympischen Baustellen bisher 15 tödliche Unfälle registriert. Die Gewerkschaften gehen von fast 50 Toten aus und schätzen die Zahl der Schwerverletzten auf mehrere hundert.