Altern ohne Klatschtanten

Peter W. ist schwul, 68 Jahre alt und einsam. Er scheut die jugendfixierte Szene, und Altersgenossen hegen Vorurteile. Die Schwulenberatung hilft ihm jetzt mit einem Besuchsdienst aus der Isolation

von STEFFEN BECKER

Stell dir vor, du sitzt vor dem Telefon, und niemand ruft an. Es fällt dir auch niemand ein, den du anrufen könntest. Peter W.* muss sich das nicht vorstellen, er kennt dieses Gefühl der Leere.

Peter W. ist 68, und Einsamkeit unter Menschen seines Alters kein allzu seltenes Phänomen. Ältere Leute auf der Suche nach Kontakten gehen in den Kegelklub, zum Kaffeekränzchen oder zur Skatrunde im Seniorentreff, Peter W. nicht.

Er ist schwul und will sich nicht zwischen „Klatschtanten setzen“, die abfällig „Ach, guck mal der“ murmeln, wenn er vorbeikommt. Seinen schwulen Bekannten- und Freundeskreis hat er mit den Jahren verloren. „Das ist irgendwie nach und nach abgebröckelt.“ Und gleichaltrige Schwule kennen zu lernen ist schwierig in einer Szene, die sich vor allem auf Jugendliche konzentriert.

Dann stieß Peter W. doch auf eine Telefonnummer, die er wählen konnte. Seit wenigen Wochen bietet die Schwulenberatung Berlin einen mobilen Salon an. Per Anzeige in Szenemagazinen wie der Siegessäule suchten Mitarbeiter junge Schwule, die sich um ältere Herren kümmern.

Thomas Wiedemann ist einer von elf Männern, die sich bisher gemeldet haben. „Ich komme schließlich vielleicht auch mal in die Situation“, sagt der 31-jährige. Er wollte etwas gemeinnütziges tun, sich mit seiner Aufgabe aber auch identifizieren können. Mit dem Mobilen Salon fand er eine Einrichtung, die in seine Lebenswelt passt. „Und abgesehen davon macht es auch Spaß. Oder Peter, ich hatte noch keine Stressfalten auf der Stirn, wenn ich zu dir komme.“ – „Das stimmt“, sagt der, „wir hatten sofort einen guten Draht zueinander.“ Sie haben ähnliche Interessen, können sich gut unterhalten, gehen gemeinsam aus. „Es ist einfach ein super Gefühl, wenn dich jemand fragt, wie geht es dir?‘“, sagt Peter W. Er klingt erleichtert.

Thomas kann er immer anrufen, wenn er Hilfe braucht. Vor kurzem lag er mit einer Lungenentzündung im Bett, die Hitze machte ihm zusätzlich schwer zu schaffen. „Hätte ich die Leute nebenan fragen können, hallo, ich bin schwul, könnt ihr mir helfen“, fragt er und antwortet gleich selbst: „Nein, wir sind immer noch nicht viel wert, und gerade alte Leute können sehr bösartig sein.“ Thomas kümmerte sich um ihn und brachte ihm Medikamente.

Eigentlich macht Peter W. einen rüstigen Eindruck – breit gebaut, mit vollem Silberbart, ist er immer noch eine stattliche Erscheinung. Aber seine Erkrankung pflanzte ihm den Gedanken in den Hinterkopf: „Was passiert, wenn ich mal nicht mehr fit bin?“

Der Mobile Salon ist ein kommunikatives Angebot, medizinische Betreuung kann die Schwulenberatung nicht leisten. Und die Verwandten? „Ich habe eine Familie, und ich habe sie nicht“, sagt Peter W. Kontakte gibt es so gut wie keine mehr. Ein Lebensgefährte? „Natürlich hat man den Gedanken, es läuft noch mal was über die Straße“, sagt Peter W.. Was lustig gemeint ist, klingt resigniert. Ein Altersheim? „Um Gottes Willen. Da habe ich viele Horrorstorys über die Behandlung von Schwulen gehört.“ Der Gedanke macht ihm Angst.

Der Mobile Salon könne nur ein Anfang sein, sagt Frank Hartung, der das Projekt mit aus der Taufe gehoben hat. In 10, 20 Jahren werde es schwul-lesbische Wohnprojekte und Altersheime geben, hofft er. „Die Pioniere der Schwulenbewegung kommen jetzt allmählich in den Ruhestand und wollen die Spielräume, die sie sich erkämpft haben, nicht aufgeben müssen, nur weil das Thema Homosexualität in der Altenpflege ignoriert wird.“

* Name geändert