Enthaltsamkeit versus Kondome

Die USA predigen den Verzicht auf außerehelichen Sex. Der UN-Generalsekretär fordert hingegen, den Kampf gegen Aids an den Opfern zu orientieren

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Schon die Eröffnung vor knapp einer Woche ließ vermuten, wohin der Gipfel steuerte: Paisan Suwannawong vom Thai Drug Users Network durfte laut Zeitplan seine Rede erst halten, als die Zeremonie so gut wie gelaufen war. Die VIPs hatten den Saal bereits verlassen, und Paisan sprach vor fast leeren Bänken. Vevek Divan, Aktivist einer Anwaltsinitiative aus Bangladesch, kochte noch Tage später vor Wut: „Diese Konferenz ist doch für die gedacht, die von HIV betroffen sind und immer ausgegrenzt werden“, so Divan. „Und was passiert: Sie werden auch hier an den Rand gedrängt, gleich bei der Eröffnung!“

Pikanterweise hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan kurz zuvor in seiner Rede noch darauf hingewiesen, im Kampf gegen die Seuche Aids vor allem die Menschenrechte derjenigen zu schützen, die besonders gefährdet sind, sich zu infizieren: SexarbeiterInnen und Drogensüchtige. Das schien eindeutig als Seitenhieb auf die Politik von Thailands Premier Thaksin Shinawatra gemünzt. Dieser hatte im vergangenen Jahr einen brutalen und vor allem international heftig kritisierten „Krieg gegen die Drogen“ initiiert, bei dem rund 2.500 Menschen ums Leben kamen– meist durch extralegale Hinrichtungen. Thaksin selbst, für seine populistische Politik bekannt, versprach zu Konferenzbeginn, das Motto des Gipfels, „Zugang für alle“, zu erfüllen. Alle HIV-Infizierten und Aidskranken sollten künftig die Möglichkeit haben, sich medizinisch behandeln und betreuen zu lassen.

In diesem Versprechen liegt die Crux. Denn die bislang erfolgreichen Programme drohen zerstört zu werden: Genauso wie Brasilien, Indien und Südafrika ergriff Thailand vor mehr als zehn Jahren eigene Initiativen, um Aids einzudämmen. Neben massiven Aufklärungskampagnen in den 90er-Jahren produzierte Thailand auch Generika, preisgünstige Kopien westlicher Markenpräparate. Im Frühjahr 2002 hatte die Government Pharmaceutical Organization, kurz GPO, eine Kombinationspille aus drei im Westen gebräuchlichen Standardprodukten auf den Markt gebracht. Sie kostet rund 30 US-Dollar monatlich. Mit dieser so genannten antiretroviralen Therapie werden derzeit 36.000 Thais behandelt. Die Regierung will diese Anzahl bis zum Ende des Jahres verdoppeln. Außerdem ist geplant, Generika und medizinisches Know-how in die ärmeren Nachbarländer Kambodscha, Burma und Laos zu exportieren. Allerdings befindet sich Thailand, ähnlich wie andere Staaten in Lateinamerika und im südlichen Afrika, in bilateralen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA.

So waren die USA neben der Pharmaindustrie auf der Aids-Konferenz hohem Druck ausgesetzt. Als Kritik an der Supermacht und den Multis wurde auch Nelson Mandelas Rede interpretiert. Der Friedensnobelpreisträger und frühere Präsident Südafrikas war zur gestrigen Abschlussfeier angereist: „Ich werde nicht eher Ruhe haben, bis die Seuche besiegt ist“, so Mandela vor mehreren zehntausend Zuhörern.

Der Streit um die Aidspolitik der Bush-Administration drohte gar zu eskalieren. Als der Washingtoner Gesandte Randall Tobias in seiner Rede die Politik seiner Regierung verteidigte, wurde er von laut skandierenden Aktivisten ausgebuht. Tobias angefeindete Thesen: Vor allem sexuelle Enthaltsamkeit würde helfen, die Krankheit einzudämmen. Gleichzeitig lehnte er den von UN-Generalsekretär Annan geäußerten Wunsch, rund eine Milliarde Dollar in den Globale Fonds einzuzahlen, strikt ab: Man habe dafür beim Kongress etwa 200 Millionen Dollar beantragt, das sei „mehr als angemessen“. Insgesamt gäben die USA für den Kampf gegen Aids doppelt so viel aus wie alle anderen Länder zusammen, so Tobias weiter. Schließlich habe Washington für die kommenden fünf Jahre rund 15 Milliarden US-Dollar zugesagt.

Kritiker aber monieren, dass die USA ihre vermeintliche Großzügigkeit an Bedingungen knüpfen: So fordern sie ein Mitspracherecht bei der Mittelvergabe aus dem Globale Fonds. Zum Abschluss der Welt-Aids-Konferenz sagten gestern aber immerhin Kanada, die EU, Thailand und Australien zu, mehr Gelder im Kampf gegen Aids bereitzustellen. Die starre Verweigerungshaltung einiger konservativer Lobbyisten zog offensichtlich noch weitere Kreise: Teilnehmer des Gipfels hatten Versuche einiger Gruppen beobachtet, die Programmatik der Welt-Aids-Konferenz, das Motto „Zugang für alle“, für sich zu instrumentalisieren. „Es gab diese massive Kampagne, von der wir nicht wissen, wer dahinter steckt“, sagte Paul Cawthorne von Ärzte ohne Grenzen und führte weiter aus: „Aber es waren Leute mit amerikanischem Akzent, die das Wort ‚Fälschungen‘ gebrauchten, die sagten, dass Generika nicht gut seien und dass wir, indem wir uns für den Gebrauch von Generika aussprechen, die Möglichkeiten der multinationalen Forschung untergraben würden.“