herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über Mannschaftsfotos

Fast wie zu Wilhelms Zeiten

Alle Jahre wieder schwärmt, gleich nach der Fußball-Sommerpause, eine Rotte Fotografen aus, um von den frisch formierten Kadern beider Bundesligen die obligatorischen Mannschaftsfotos für das Kicker-Sonderheft zu knipsen. Auch dieses Jahr wurde diese hehre Aufgabe wieder zuverlässig erfüllt. Frontal abgelichtet allesamt, kann man da sämtliche Mannschaftsteile der fußballdeutschen Eliteteams auf 36 quer gelegten Kicker-Seiten abgebildet sehen: akkurat trikotiert, gradlinig gruppiert, die Augen geradeaus gerichtet und also insgesamt eine fast militärische Uniformität abstrahlend. Außerdem haben die Fotografen wieder durchweg die klassische Mannschaftsaufstellung gewählt, nämlich die der nach hinten ansteigenden Dreier- oder Viererreihung, wobei die Fußballer, die hinten oder mittelreihig stehen, die Hände, wie von jeher Usus, auf dem Rücken verschränkt halten. Die vorne sitzen, stützen sie dagegen ausnahmslos auf die mannschaftsübergreifend gleichwinklig weit gespreizten Knie. Immer auch müssen die Torwarte vorne sitzen. Streng mittig positioniert sind deren fest reservierte Sitzposten in der ersten Reihe.

Somit erweist sich einmal mehr die Mannschaftsfotografie in ihrer konventionellen Machart als eine der wenigen Konstanten des ansonsten doch schon von allen möglichen und unmöglichen Umwälzungen aufgeweichten guten alten Fußballerbrauchtums. Man kann wohl sagen, dass sich die heutigen Mannschaftsdarstellungen im Wesentlichen kaum von denen der ersten Ballsportvereine zu Kaisers (Wilhelm) Zeiten unterscheiden. Na gut, damals waren die Aufnahmen schwarzweiß und frei von jeder Reklame, die heute allerdings und inzwischen leider durchgängig, in Gestalt nämlich von allerlei klobigen und plumpsbunt ins Bild gerückten Erste-Hilfe-Koffern oder Werbebanden die formale Strenge des traditionellen Bildaufbaus brutal brechen – von den doofen Trikotwerbungen ganz zu schweigen.

Darüber hinaus gibt es aber leider in diesem Jahr einige weitere unstatthafte stilistische Verwerfungen auf den Kicker-Fotos zu entdecken. So wird wieder häufiger gegen jenes ungeschriebene Gesetz verstoßen, nach dem im Mannschaftsfotohintergrund nichts als eine leere Tribüne oder allenfalls ein Trainingsplatzanrainergebüsch zu sehen sein darf. Auf keinen Fall aber, wie es dieses Jahr der Fotograf der Schalker Mannschaft anzubieten wagt, ein seltsam verbautes Vereinsgebäude, das zudem so diagonal in das Foto hineinschrägt, dass hier die für die Mannschaftsfotografie so signifikante Gradlinigkeit vollends aus dem Lot zu kippen scheint. Auch das Foto vom Leverkusener Team, aufgenommen vor einem Hintergrund, der wegen seiner Undefinierbarkeit diese Bezeichnung schlichtweg nicht verdient, bricht in dieser Hinsicht mit sämtlichen Regeln des Genres. Desgleichen die Aufnahmen vom VfB Stuttgart, dessen Equipe vor irgendwas Schloßähnlichem posiert, weiterhin Eintracht Frankfurt (Flughafen-Terminal), FSV Mainz (Dach), Eintracht Trier (Viadukt), Vfb Lübeck (Bretterwand), Rot-Weiß Oberhausen (Schloss) und Jahn Regensburg (Donaubrücke).

Noch unverzeihlicher ist aber, was sich die Fotografen der Stuttgarter, Berliner und Mönchengladbacher Erstligateams dieses Jahr leisteten, indem sie doch tatsächlich auf ihren Fotos die Maskottchen dieser Vereine mit in die Mannschaften haben einrücken lassen. Schrecklich alberne Comic-Figuren sind das, grauselige Plüschtiermonster von der Art, wie sie von Jahrmarktslosbuden als Hauptpreise ausgeschüttet werden. Stehen da, als wär’s völlig selbstverständlich, dass sie da in den Mannschaftskorpus eingereiht stehen, nämlich auf jenen äußeren Positionen, die traditionell den Physiotherapeuten oder Torwarttrainern vorbehalten sind. Ein Sakrileg ohnegleichen.