Morbides Geschäft erregt ‚Provinz voll Leben‘

Findige Geschäftsleute wollen Siegen mit einem Krematorium beglücken – und sorgen für Aufregung: Professionelle Bestatter sorgen sich bereits um den Verlust der Pietät, Anwohner um den Wert ihrer Häuser und Grundstücke

Bestatter zu sein, heißt es, sei ein sicherer Job – schließlich könnten einem die Kunden nicht mehr davon laufen. Das werden sich auch Peter Schmidt und Uwe Peter gedacht haben, als sie von der Novelle des Bestattungsgesetzes hörten: Demnach ist es seit einiger Zeit auch Privatleuten erlaubt, ein Krematorium zu betreiben. Mit verblasstem Leben hatten die künftigen Hobby-Bestatter zwar bisher wenig am Hut. Doch in der Verbrennung von Leichen wittern sie nun das große Geschäft – gestorben wird schließlich immer.

Was fehlt, ist ein Krematorium. Das wollen Schmidt und Peter deshalb „in ein paar Wochen“ bauen, und zwar mitten in Siegen, der selbst ernannten „Provinz voll Leben“. Seitdem die schwarze Stadtspitze grünes Licht dafür gegeben hat, ist Siegen in Aufruhr. Das Thema beherrscht seit Monaten die Gemüter, obwohl Schmidt, der Praktische, doch eine Mission hat: Er will den Verblichenen nämlich Zeit sparen. Er sagt: „Wir haben beobachtet, das die Toten in Siegen sehr lange auf eine Urne warten müssen.“ Das solle, ja müsse aufhören. Und die Finanzen? Hat Schmidt längst überschlagen: Summa summarum müssten pro Jahr rund 1.800 Leichen eingeäschert werden, damit sich die Anlage rentiert. Das wären knapp fünf Bestattungen pro Tag, sieben Tage die Woche – ein Mordsrummel.

Der schwant auch Henrik Otto Giesler. Der Vorsitzende des Kreisverbandes des Bestattungsgewerbes wollte anfangs noch mit einsteigen ins morbide Geschäft. Doch als ihm die Betreiber nur eine „Minderheitsbeteiligung“ am Krematorium anboten, unterlag Giesler ganz plötzlich seinen Zweifeln. Heute spricht er von „Leichentourismus“ und von einer „Schwemme an Krematorien“, die das Land überrolle. Ganz abwegig ist das nicht: In Hagen, Hamm und Dortmund rauchen die Schornsteine, in Werl wird gerade ein Krematorium gebaut. Auch im sauerländischen Lüdenscheid sind solche Pläne im Umlauf.

Das könnte Schmidt und Peter letztlich zum Verhängnis werden. Denn im ganzen Siegerland, sagt Giesler, seien in den vergangen Jahren nur 1.000 Menschen im Jahr eingeäschert worden. Zu wenig, um mit einem Krematorium in dieser Region Gewinne zu erwirtschaften. Und wenn man doch auf diese Zahl komme, dann würden die Leichen in LKWs angekarrt – unter Pietät versteht Giesler etwas anderes.

Wirtschaftlichkeit und Pietät sind Karl Krämer dagegen egal – ganz profan sorgt sich der Rentner ums Stadtbild. Der Sprecher der Bürgerinitiative, die sich seit Monaten gegen den Bau des Krematoriums stemmt, fühlt sich hintergangen. Die Stadt habe ein Grundstück erworben, das offiziell als Grünfläche ausgewiesen sei, erzählt Krämer über den Platz, auf dem das Krematorium stehen soll. Nun aber stoße die Stadt die Wiese wieder ab – zum doppelten Preis, da Bauland nun mal wertvoller ist als Wald und Wiese. Krämer hat zudem Angst, dass wegen des Krematoriums die Attraktivität der Umgegend schrumpfen könnte und damit auch die Grundstückspreise. Der Rentner besitzt selbst ein Haus in Siegen, etwa 70 Meter vom Friedhof entfernt.

Eine Feuerbestattungs-Anlage in der Nachbarschaft – das will sich Krämer, wie viele andere in Siegen, nicht bieten lassen. Deshalb hat seine Initiative, gemeinsam mit diversen Wohnungs-Genossenschaften, Einspruch gegen den Bau eingelegt. Ein Mordsrummel – der bald auch das Bezirksgericht in Arnsberg beschäftigen soll.

BORIS R. ROSENKRANZ