Wind gegen Sander und Offshore

Piepmatz-Gate? Durch einen Fehler von Niedersachsens Umweltminister könnte der Bau von Windkraftanlagen in der Nordsee verhindert werden

Hannover taz ■ Hat Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) versehentlich Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) verschwiegen, dass es ein Gutachten gibt, das den Bau von Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee verhindern könnte? Fest steht: Der Ministerpräsident ist nicht gerade erfreut, dass wegen einer Schludrigkeit seines Ministers der Zukunftstechnologie Windkraft in niedersächsischen Meeren der Wind entgegenbläst.

Es sei „ein echtes Problem“, dass er von dem Vogelschutzgutachten nicht schon Wochen früher gewusst hätte, sagte Wulff zur taz – und rügte damit indirekt seinen Umweltminister. Der hatte am Donnerstag bei einem lauschigen Pressegespräch verkündet, nun dürfte es für die Betreiber von Windparks „weniger lukrativ werden“, Offshore-Anlagen in der Nordsee zu bauen. Der Grund: Ein Gutachten, das empfiehlt, die 12-Seemeilen-Zone vor der niedersächischen Küste beinahe komplett zum Vogelschutzgebiet zu erklären: Sturmmöven und Sterntaucher überwintern hier, Brandseeschwalben und Heringsmöven brüten in dem Gebiet.

Noch schlimmer: Niedersachsen hatte im Bundesrat dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zugestimmt, nach dem Windparks in Vogelschutzgebieten keine Einspeisungsvergütung erhalten. Ohne die 9,1 Cent pro Kilowattstunde wird es unwirtschaftlich, die Windräder zu errichten. Sander betonte, er habe erst in der Bundesratssitzung von der Studie erfahren. Und: „Zu diesem Zeitpunkt war das EEG nicht mehr aufzuhalten.“ Sein Haus habe angeblich nichts von dem Gutachten gewusst, welches das Niedersächsische Landesamt für Ökologie (NLÖ) 2001 beim Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität Kiel in Büsum beauftragt hatte.

Einen Tag später musste das Ministerium einräumen: Schon Ende April sei die Untersuchung im Ministerium angekommen, allerdings habe Sander erst viel später davon erfahren, beteuerte seine Sprecherin. „Das Gutachten ist eine Herausforderung“, sagt Wulff, der im „Bundesrat dafür gekämpft hätte, das EEG zu ändern“ – wenn er denn von dem Gutachten gewusst hätte. Allerdings, betont er, müsse man die Studie ja auch „nicht eins zu eins umsetzen“. Bis September wolle er mit den betroffenen Inselgemeinden, die das Projekt heftig bekämpfen, und mit den Investoren Gespräche führen.

Vier niedersächsische Windparkfirmen stehen in den Startlöchern, um zwei Windparks im Wattenmeer zu bauen. Sie wollen in Borkum-Riffgat vor der Insel und in Nordergründe vor der Wesermündung 69 Anlagen aufstellen. 25 sind bereits im Raumordnungsverfahren, eine millionenschwere Investition. Die beteiligten Firmen – Enova, EWE, Enercon und Energiekontor – geben derzeit keinen Kommentar zu den Auswirkungen der Vogel-Studie.

Dafür betont das NLÖ, dass „Sanders Ministerium natürlich von dem Gutachten gewusst hat. Es hat die 154.000 Euro teure Studie schließlich bei uns in Auftrag gegeben“, so Sprecherin Eva-Maria Rexing. Die Opposition wittert ein Piepmatz-Gate. „Handelt Sander grob fahrlässig oder extrem schlitzohrig?“, fragte prompt SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel. Das Land habe „eine einmalige Chance verpasst, im Zuge der Beratungen zum EEG eine Änderung zugunsten der Offshore-Standorte zu erwirken“, der Umweltminister „zum wiederholten Male seine Unfähigkeit bewiesen“.

Möglich sei jedoch auch, dass Sander das Gutachten „schlicht verschwiegen“ habe, argwohnte Gabriel. „Mit seiner Geheimniskrämerei hat er die offene Debatte gescheut und die eigenen Kollegen hinters Licht geführt“, sagte der grüne Fraktionschef Stefan Wenzel. Es zeige sich mal wieder, dass Sander „eine totale Fehlbesetzung“ sei. Das Verhalten des FDP-Mannes schade „niedersächsischen Interessen“, so Gabriel. Es lasse „aber auch den als Windenergie-Fan bekannten Ministerpräsidenten Wulff als Regierungschef erscheinen, den man hinter die Fichte führen könne“. Kai Schöneberg