„La La geht auch“

„Der Herr der singenden Heerscharen“ war da: Gotthilf Fischer. Deutsche Volkslieder erklangen auf dem Marktplatz. Bremens Sangesfreunde wurden zu „Ehrenmitgliedern der Fischerchöre“ ernannt

Deutsche Volkslieder können allerhand anrichten. Damen und Herren, die meine Großeltern sein könnten, erklimmen Balkone und andere Aussichtspunkte. Sie jubeln, schieben, drängeln. Erschöpft und durstig setzen sie sich direkt aufs schmutzige Kopfsteinpflaster und trinken Cola. Es ist Samstag, der vorletzte Tag der Chorolympiade. Aber auf dem Bremer Marktplatz herrscht an diesem späten Nachmittag eine Atmosphäre wie bei einem Rock-Festival.

„Hurra!“, rufen ein paar graumelierte Damen schon jetzt ekstatisch und wedeln mit den Volksliedheften, die kostenlos ausgelegt wurden. Sie haben sich bis in die vorderen Reihen gekämpft. Ihre Augen strahlen, ihre Wangen sind rosig von der Hitze. In wenigen Sekunden wird der „Herr der singenden Heerscharen“, Gotthilf Fischer, die Bühne betreten. Und dann wird Bremen mit ihm singen.

„In Italien singen sie italienisch, in Frankreich französisch, in Deutschland englisch“, beklagt Fischer, um so die Stimmung anzuheizen. Und richtig, pfui!, buh!, das muss aufhören. In Deutschland soll deutsch gesungen werden. Und nicht nur da: Fischer ist für die „Verbreitung des deutschen Volkslieds in aller Welt“. So erklärt er feierlich seine Parole: „Wir grüßen die Nationen dieser Welt mit unseren deutschen Volksliedern.“ Die Playback-Musik wird hochgefahren. Es erklingen heimelige Bläser und Flöten, die ersten Takte von „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Fischer („Ich bin nur 1,70 m.“) steigt noch schnell auf ein Podest und breitet segnend die Arme aus. Die Menge jubelt. „Komm, komm!“, lockt Fischer. Und Bremen singt – aus Leibeskräften.

Fischer ist Profi in Sachen Mitsing-Aktion: Bereits 1997 machte er eine „Sing mit-Tour“ durch deutsche Städte – für die Firma Rachengold. Der „Therapeut der wunden Seelen“, wie er sich auf seiner offiziellen Homepage nennt, sang damals auf öffentlichen Plätzen das Werbelied „Ra-ra-ra-ra-Rachengold“ und verteilte Hustenbonbons.

Die Bremer Fans machen den Mund weit auf und geben sich trotz der Hitze Mühe, dem Chorherrn zu gefallen: Mehrstimmig wird da gesungen, tirililiert und improvisiert. Wirklich peinlich hätte es eh nicht werden können, läuft doch eine Aufnahme der Fischer-Chöre als Playback. Aber Gotthilf lobt: „Der beste Chor der Welt, da steht er!“

Die singfreudigen Bremer werden zu „Ehrenmitgliedern der Fischerchöre“ ernannt. Ohne Verschnauf- oder Hustenpause geht es über zu „Alle Vöglein sind schon da“, „Horch, was kommt von draußen rein“ und „Hoch auf dem gelben Wagen“ – der Chorherr sagt hie und da die nächste Zeile vor. Aber „la la geht auch“. Total „la la“ wird es dann, als wir uns auch noch im Rhythmus bewegen sollen: „Jetzt schunkeln.“

Gegen Ende zitiert Fischer noch eine Anekdote mit dem ExBundespräsidenten Richard von Weizsäcker, zugleich seine Botschaft an alle Politiker: „Wenn ihr Politik macht, geht’s durcheinander. Wenn wir singen, geht’s miteinander!“ Ist Fischer mit seiner Volkslied-Leitkultur vielleicht sogar der bessere Bundespräsident? Zumindest die Gäste aus Göttingen sind sich einig: Viel besser als der politische Chorleiter hat ihnen der singende Bürgermeister gefallen.

Sybille Schmidt