Unter Kopfhörern

Das Musikportal Laut.de existiert nach fünf Jahren immer noch. Während die Konkurrenz stirbt, kämpft es weiter – für gute Musik und gute Verrisse

von ANNE HAEMING

Es ist ein ruhiges Großraumbüro. Über allem liegt ein dezenter Klangteppich aus Tastenklappern und Telefonklingeln. Ebenso zurückhaltend der schallschützende Filzbehang der Wände. Dabei wäre Lärmschutz gar nicht nötig. Laut ist leise. Die Redakteure des Konstanzer Musikportals Laut tragen alle Kopfhörer. „Tagsüber sind wir ein bisschen autistisch,“ gibt Rainer Henze, der Vorstand im roten T-Shirt, grinsend zu. Das Firmenlogo mit dem Kopfhörer-bewehrten Schädel entspricht also der Realität. Abends dann, nach der offiziellen Arbeitszeit, werden im Büro auch mal die Boxen aufgedreht. Das einzige, was den Musikgenuss mitunter stört, sind quietschende Züge hinterm Haus, ansonsten ist es still im Industriegebiet.

Gründe für volltönende Feten gibt es genug. Laut wird dieses Jahr fünf und feiert damit vor allem sein Bestehen. Etwas, was mit Blick auf den Rest der Branche längst nicht mehr selbstverständlich ist. Anlass zur Freude bietet auch die Aussicht auf ein hausgemachtes Geburtstagsgeschenk. Ende 2003, so Henze, rechne er zum ersten Mal mit einer schwarzen Null. Die langjährigen Kooperationen mit diversen Internetportalen zahlten sich endlich aus. Darunter redaktionelle Inhalte für MTV oder die Betreuung der Musikseiten von Freenet. Das Filetstück aber ist das eigene Musikportal www.laut.de. Die Rubriken bestehen unter anderem aus Bandbiografien im Wortlaut, lautstarken Platten- und Konzertkritiken und einem Genre-Guide. Das macht dreieinhalb Millionen Seitenabrufe im Monat, die aktuelle Glückszahl des Chefs. Eine neue DVD-Linie soll pünktlich zur PopKomm online sein – die gilt schließlich als wichtigster Marktplatz der Branche.

Dass ausgerechnet Laut den längsten Atem haben würde, hätte Henze 1997 nicht gedacht. Damals war das Musikportal nur eines von mehreren Magazinen, das der Internetdienstleister Seitenbau für diverse Kunden erstellte. Als dann der Hauptkunde ausstieg, stand alles zur Disposition. Als der Rest vom großen Boom profitierte, erlebten die Konstanzer ihren ersten Tiefpunkt. „Wegen dieser Krise gibt es uns wahrscheinlich noch“, mutmaßt der 32-Jährige. „Damals haben wir gelernt hauszuhalten. Und außerdem“, er beugt sich vor: „Bei uns sind viele Schwaben in der Geschäftsführung.“

Musik – damit konnten sich die jungen, dynamischen Leute – inkarnierte IT- Klischees – am meisten identifizieren. Laut wurde 1998 kurzerhand als Seitenbau-Projekt gestartet mit Henze als Chef, damals noch Verwaltungsstudent. Er sei eben derjenige mit den meisten Platten gewesen, meint er lakonisch. Zwei Jahre später gliederte man das einstige Nebenprodukt als Tochterfirma aus, Laut war jetzt eine AG, „schicker als eine GmbH“. 2002 gewann das Kind sogar den Landesmedienpreis als Online-Redaktion des Jahres. Tochter und Mutter atmen zwar immer noch die gleiche abgestandene Raumluft. Aber dort, wo die Seitenbauer Intranets für Bundesministerien erstellen, pulsieren definitiv ernstere Vibes als ein paar Zimmerpflanzen weiter unter Kopfhörern.

Bei den Konstanzer Musikfreaks erinnert manches Detail an all das, wofür die jungen Kreativen in den fruchtbaren Jahren standen und was längst zu einem Style geronnen ist. Man trägt Shirts mit Logos, ist Studienabbrecher oder Quereinsteiger, liest brand eins, trinkt Tannenzäpfle und spielt nach Feierabend Firmenfußball – für zwei mal Elf reichen die festen und freien Lautler. Vor allem aber hört man die richtige Musik. Oder zumindest nicht die falsche. Und falsch ist letztlich all das, was nicht den Weg ins Magazin nimmt, sondern im gut gefüllten Ausschussregal der Redaktion landet.

Zehn neue CDs am Tag seien die Regel, so Redakteur Michael Schuh, abgebrochener Politikstudent. Regel eins: „Keine Volksmusik.“ Regel Nummer zwei: „Wir müssen nicht jede neue Platte von DJ Ötzi besprechen oder Mr. Vain 2003 in acht Versionen.“ Ansonsten gilt die Parole, möglichst alle Genres möglichst breit abzudecken. „Wir gehen sehr weit in Nischen rein,“ erklärt Henze. „Auf der einen Seite ein gewisser Grundkonsens für Radiohead, andererseits einen Spezialisten für alle abgefahrenen Metalgeschichten.“

Geradezu harmlos dagegen, was meist in Michael Schuhs Kopfhörern dudelt. Bei ihm endet in der Regel alles, was nach Elektro oder Rock klingt. Gerade hört er einen US-amerikanischen Sänger namens Liam Lynch ab, absurde Texte plus Gitarre. Ein Geheimtipp? Er zieht den Kopfhörer in den Nacken, zögert. Mit vorschnellen Urteilen ist er vorsichtig geworden. Ein Post-it an seinem Bildschirm hält ihn wohl dazu an. Es ist der Werbekleber einer Band, darauf der orangefarbene Vordruck: „Røyksopp – remind me“. Schuh stöhnt bei der Erinnerung. Røyksopp fiel bei ihnen durch. „Wir haben’s einfach nicht gecheckt. Und ein halbes Jahr später waren sie ganz oben.“

Aber es ist genau jene unbestechliche Meinung der Redakteure, die so etwas wie das Markenzeichen von Laut ist. Lob gebe es explizit, weil sie keine Scheu hätten, Hitsammlungen oder Aufgüsse großer Namen als das zu bezeichnen, wie sie seien: nämlich schnöde und fade, kommentiert Schuh das Gütesiegel, verliehen vom Leser. „Wir verreißen, was die Printmagazine einfach weglassen würden,“ betont auch Rainer Henze das redaktionelle Leitmotiv. „Wir müssen den Kids schließlich erklären, warum DSDS scheiße ist.“

Der missionarische Eifer der Truppe geht allerdings weiter, als nur netztaugliche Alben von indiskutabler Regalmusik zu trennen: Einige musizieren selbst. Die Punkrocker von Pacmen durften auf dem Geburtstagskonzert von Laut sogar als Vorgruppe von Surrogat auftreten. Zumindest in diesem Fall kann Laut nicht das Malheur passieren, eine hoffnungsvolle Newcomer-Band zu übersehen.