berliner szenen Beim Zahnarzt

Als sei ich gar nicht da

Während ich zur Zahnärztin fuhr, zogen automatisierte Vorträge durch meinen Kopf, die erklärten, weshalb ich nicht schon vor einem Monat wieder bei ihr angetanzt war. Es waren andere Dinge dazwischengekommen, die wichtiger gewesen waren – und dann sagte ich doch nur „Hallo“, als ich vor der bebrillten Zahnärztin stand, die nachdenklich hinter ihrem Tresen saß, vielleicht um gleitende Hierarchien in ihrer Praxis anzudeuten. Sie war nett wie immer.

Ich hatte das Gefühl, es sei schon etwas besser, seit ich mir vor Tagen eine elektrische Zahnbürste gekauft hatte. Etwas reserviert schaute sie in meinen Mund. Nö, da wäre gar nichts besser. Und nach ein bisschen Bohren: Nichts zu machen, Sie sollten dringend ihre Zahnzwischenräume besser reinigen, und eine Wurzelbehandlung beim letzten Zahn in der Reihe bezahlt die Kasse eh nicht mehr. Ich sage Ihnen: Gehen Sie zum Kieferchirurgen, gehen Sie direkt dorthin.

Beim Kieferchirurgen, der auch Schönheitskorrekturen macht, las sich Sport-Bild besser als erwartet. Niemand sagte was. Manche stöhnten leise. Im länglichen, billigen Zahnarztzimmer gab’s Spritzen. Der Raum war brutal weiß gestrichen. Ich starrte auf drei steckdosengroße Löcher in der Wand. Im besseren Zahnarztzimmer ging’s weiter. Die fernsehschöne Zahnarzthelferin schaute mich nicht an. Mein Kopf lag am warmen Bauch des Zahnarztes. Sie unterhielten sich beim Zahnrausoperieren, als sei ich gar nicht da. Es ging darum, ob es einem auch zu gut gehen kann. Das Stück von Phil Collins, das im Zahnarztradio lief, erinnerte die Zahnarzthelferin an ihren Vater, der tot zu sein scheint. Ich kam mir vor wie ein tapferer kleiner Junge, ein bisschen auch wie ein öffentlicher Junkie. DETLEF KUHLBRODT