Noch nicht tüddelig, aber raus aus der SPD

Annemarie Friedrich, 83, die Großmutter der Bürgerinitiative Freie Heide, ist aus der SPD ausgetreten

Nach all den Jahren hat sie es getan: Annemarie Friedrich ist aus ihrer Partei, der SPD, ausgetreten. Die 83-Jährige aus dem brandenburgischen Flecken Zechlin gilt als Großmutter der „Freien Heide“, jener Bürgerinitiative, die sich seit Anfang der Neunzigerjahre gegen die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide stellt.

„Ich habe meinen Austritt schriftlich bei der SPD niedergelegt“, sagt Friedrich der taz. „Vorgestern ist der Brief eingegangen.“ In ihrem Schreiben wendet sie sich „gegen die 180-Grad-Kehrtwende und die Lügereien der Politiker, gegen eine gleichgültige SPD-Landtagsfraktion in Brandenburg“. Die Rede ist in ihrem Brief auch von grenzenloser Trauer. „Ich weine noch“, sagt sie im Gespräch. Seit Hitlers Machtergreifung habe sie sich ihrer Partei verbunden gefühlt. Ihr Vater und ihr Bruder, beide Sozialdemokraten, wurden von den Nazis verfolgt, sie selbst sei später in der DDR „im Herzen immer SPD“ gewesen. Sofort nach der Wende sei sie eingetreten.

Die Bürgerinitiative, die Annemarie Friedrich mit gegründet hat, kämpft seit der Wende für die zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide. Das 142 Quadratkilometer große Gebiet wurde nach 1945 von der russischen Armee als Übungsgelände genutzt: als Bombenabwurf-, Panzer-, Raketen- und Luftwaffengroßübungsplatz. Nach 1989 sollte dort die Natur endlich wieder zu sich kommen: Ein Naturschutzgebiet sollte entstehen, sanfter Tourismus schlägt heute in der Region erste Wurzeln.

Zu Oppositionszeiten ließen sich Vertreter der SPD gern hier, in Nordbrandenburg, blicken. 1994 etwa, als Rudolf Scharping Kanzlerkandidat war, wanderte er medienträchtig untergehakt mit Vertretern der Bürgerinitiative durch die Heide und versprach für den Fall eines Wahlsieges die zivile Nutzung des Geländes. Annemarie Friedrich bot er gar das Du an. Nach dem Wahlsieg 1998, Scharping war Bundesverteidigungsminister, meldete sein Ministerium militärischen Nutzungsbedarf an. Persönlich hat sich Annemarie Friedrichs Duzfreund nicht mehr blicken lassen.

„Und nun Struck“, sagt sie. „Der hat mir 1992, noch als Abgeordneter, in die Hand versprochen, sich für unsere Sache einzusetzen.“ Nun steht ihr ehemaliger Genosse auf der anderen Seite: Der Schießplatz soll neu eröffnet werden, 1.700 Tiefflüge planen Bundeswehr und Nato über der Heide, die Friedrich noch von vor 1945 als „verträumte, wunderschöne Landschaft“ kennt. Das Struck-Ministerium hat am 6. August die sofortige Inbetriebnahme des Bombodroms ab kommendem Montag angekündigt. Dagegen sind mittlerweile 14 Anträge auf einstweilige Anordnung gestellt worden. Heute findet am Potsdamer Verwaltungsgericht dazu eine nicht öffentliche Anhörung statt. Möglicherweise ein letzter verzweifelter Versuch der Bürgerinitiative, Recht zu bekommen.

Die 83-Jährige nimmt die gebrochenen Versprechen der Politiker persönlich. Und zieht mit ihrem Parteiaustritt die Konsequenzen. Die ehemalige Lehrerin wohnt bei ihrem jüngsten Sohn und dessen Kindern. „Tüddelig bin ich nicht, schreiben Sie das“, mahnt sie. Jeden Abend setze sie sich hin, lese Bücher über Musik, Literatur, Baukunst. „Und am nächsten Morgen höre ich mich ab. Da weiß ich, dass ich nicht verkalke.“ Nach Potsdam fährt sie heute nicht. Das tut sie sich nicht an. ANJA MAIER