Aufruhr im Gaza-Streifen gegen Arafat

Der Palästinenserpräsident ernennt seinen Neffen zum neuen Sicherheitschef. Daraufhin stürmen Mitglieder seiner Fatah-Partei ein Geheimdienstbüro. Regierungschef Abu Ala tritt zurück, doch ein Kompromiss mit Arafat scheint noch möglich

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Während das seit dem Wochenende eskalierende Chaos im Gaza-Streifen andauert und führende Sicherheitskommandanten eilig ihre Ämter abgeben, kämpft Palästinenserpräsident Jassir Arafat mit schärferer Kritik denn je. „Die Anarchie muss ein Ende haben“, schimpfte der noch amtierende Premierminister Ahmad Kurei (Abu Ala) am Samstag auf dem Weg zur Regierungssitzung, in deren Verlauf er seinen Rücktritt ankündigte. Im Gaza-Streifen herrsche eine „nie dagewesene Gesetzlosigkeit“.

Arafat weigerte sich, das Gesuch Abu Alas zu akzeptieren. Heute wollen die beiden Männer erneut beraten. Abu Ala, der seit vergangenem September im Amt ist, fordert mehr Kompetenzen hinsichtlich der Sicherheitstruppen. Nach jüngsten Reformen unterstehen sämtliche Dienste erneut allein dem Palästinenserpräsidenten. Angesichts der Entwicklungen im Gaza-Streifen stellte Arafat eine Neuorganisation der Sicherheitsdienste in drei zentrale Abteilungen in Aussicht. Damit würde er einer der wiederholt von den USA und Europa gestellten Bedingungen nachkommen.

Seit dem Wochenende herrscht Ausnahmezustand im Gaza-Streifen. Bewaffnete Aktivisten von Arafats Organisation Fatah stürmten gestern Morgen das Hauptquartier des Präventiven Sicherheitsdienstes, entließen die Inhaftierten und steckten das Gebäude in Brand. Tausende Demonstranten bejubelten den Überfall und forderten in Sprechchören das Ende von Mussa Arafat. Er ist ein Neffe des Palästinenserpräsidenten und war am Vortag zum neuen Sicherheitschef ernannt worden.

Der Karriersprung Mussa Arafats erboste selbst die engsten Verbündeten seines Onkels. Sufian Abu Saida, linientreuer Vizeminister im palästinensischen Kabinett und aufgrund seiner fließenden Hebräischkenntnisse häufiger Interviewpartner israelischer Hörfunkstationen, nannte Mussa Arafat einen der „korruptesten Beamten in der Autonomiebehörde“. Seine Ernennung bedeutete „Respektlosigkeit gegenüber dem Volk“, sagte Abu Saida der „Stimme Israels“. Arafat sei nun „nicht mehr länger eine heilige Kuh“.

Auslöser des Aufruhrs waren die Entführungen des Polizeichefs, des Kommandanten für militärische Kooperation zwischen den Palästinensern und Israel sowie mehrerer französischer Entwicklungshelfer. Infolge der Intervention von Arafat wurden die Geiseln freigelassen. Polizeichef Ghasi al-Dschabali wurde, entsprechend der Forderung der Entführer, gekündigt. In einem ersten Amtsakt ließ der neue Sicherheitschef Mussa Arafat seine Beamten der militärischen Abwehr noch am Samstagabend die palästinensischen Hörfunkstationen sowie die meisten Polizeiquartiere in der Stadt Gaza besetzen. Jassir Arafat kündigte parallel dazu weitere personelle Veränderungen innerhalb der Sicherheitsdienste an. Der Kommandant der Wasserpolizei reichte aus Protest über die Entwicklungen unterdessen freiwillig seinen Rücktritt ein.

Politische Beobachter in Jerusalem gehen davon aus, dass die rebellischen Fatah-Aktivisten dem Lager des ehemaligen Sicherheitschefs Mohammad Dahlan angehören, der als bitterer Gegner Mussa Arafats gilt. Dahlan hatte vor knapp einem Jahr zusammen mit Expremierminister Mahmud Abbas (Abu Masen) seinen Dienst quittiert. Grund für den damaligen Zwist mit Arafat war, genau wie heute, die Zuständigkeit für die Sicherheitsdienste. Darüber hinaus forderte Dahlan nicht zuletzt aus Sorge über die prekäre Sicherheitslage vor allem im Gaza-Streifen unlängst die Auflösung der parteinahen Al-Aqsa-Brigaden, was seine Popularität in den Reihen der militanten Widerstandskämpfer nicht unbedingt steigen ließ.

„Die (aufständischen) Gruppen sind nicht repräsentativ, sondern eher als Banden zu bezeichnen“, kommentierte der Minister ohne Geschäftsbereich, Kadoura Fares, den Aufruhr im Gaza-Streifen. Nicht jeder, der in Opposition zur Führung stehe, sei automatisch Dahlan zuzuorden. Im Gaza-Streifen „sind verbrecherische Kräfte am Werk“, dagegen versuche Dahlan, Recht und Ordnung zu schaffen. Fares weigerte sich, die Ernennung Mussa Arafats zu kommentieren. Doch seien dessen Erfolgschancen minimal, solange „es keinen klar definierten Verantwortungsbereich gibt“.

Offene Rückendeckung genießt Mussa Arafat einzig von Seiten des Fatah-Generalsekretärs im Gaza-Streifen, Ahmad Khals, der glaubt, dass die Entführungen und Demonstrationen ein „von Israel initiierter Versuch ist, die Führung zu stürzen“.