Jassir Arafat manövriert sich ins Abseits

Die Proteste gegen den Palästinenserpräsident gehen nach der Ernennung seines Neffen zum Sicherheitschef weiter

RAMALLAH ap/afp ■ Mit der Ernennung seines Neffen Mussa zum neuen Sicherheitschef in den palästinensischen Gebieten hat Präsident Jassir Arafat seine eigene Partei Fatah und weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Aus Protest gegen die Entscheidung vom Samstag stürmten bewaffnete Palästinenser am Sonntagmorgen ein Geheimdienstbüro im Gaza-Streifen und verletzten einen Wachmann.

Angesichts des seit Freitag anhaltenden Chaos im Gaza-Streifen legte der palästinensische Ministerpräsident Ahmed Kurei am Samstag sein Amt nieder. Nach einem Treffen mit Kurei bekräftigte Arafat gestern, dass er dessen Rücktritt nicht anerkenne. „Ich lehne das Rücktrittsgesuch ab und betrachte es als nicht existent“, sagte Arafat. Kurei sah sich wegen Arafats Ablehnung einer echten Reform der Sicherheitskräfte und der Autonomiebehörde zur Aufgabe seines Amts gezwungen, wie aus Kabinettskreisen verlautete. Auf der Kabinettssitzung am Samstag forderten zahlreiche Minister von Arafat die Übertragung von mehr Kompetenzen an Kurei, hieß es.

Die Ernennung eines neuen Sicherheitschefs war Teil eines Umbaus des Sicherheitsapparates, den Arafat am Samstagmorgen bekannt gab. Zwar setzte er mit der Zusammenfassung von zwölf konkurrierenden Sicherheits- und Geheimdiensten zu drei Behörden eine Forderung des internationalen Friedensplans (Roadmap) um. Allerdings kritisierten Mitglieder der Fatah-Bewegung, der neue Sicherheitschef Mussa Arafat stehe für die Korruption und Vetternwirtschaft in der Autonomiebehörde. Der Mitbegründer der Fatah im Jahr 1965 gilt als scharfer Kommandeur und als absolut loyal gegenüber Arafat. Um ihren Unmut über dessen Ernennung auszudrücken, legten Marinechef Gomma Ghali und zwei weitere Sicherheitsoffiziere ihre Ämter nieder. In einem Brief an Arafat schrieb Ghali, die derzeitige Lage führe „geradewegs in den Aufstand“.

Die Enttäuschung über Arafats vermeintliche Reform äußerte sich auch im Westjordanland. „Entweder revolutioniert er seine eigene Behörde oder die Bevölkerung wird eine Revolution gegen ihn machen“, sagte Ahmed Jamus von der Universität in Ramallah. In Gaza-Stadt zogen am Samstag rund 2.000 Demonstranten vor ein Regierungsgebäude und riefen: „Arafat hör zu: Wir akzeptieren deine Entscheidungen nicht mehr.“ Die Eskalation der Lage im Gaza-Streifen begann am Freitag mit der Entführung von zwei ranghohen Sicherheitsoffizieren und vier französischen Mitarbeitern einer Hilfsorganisation. Alle Geiseln wurden bis zum Samstagmorgen wieder freigelassen. Arafat verhängte daraufhin den Ausnahmezustand im Gaza-Streifen.

Unterdessen wurde ein 21-jähriger Palästinenser bei einer Auseinandersetzung mit israelischen Soldaten in Nablus im Westjordanland getötet. Wie palästinensische Augenzeugen berichteten, schossen die Soldaten am Samstag in eine Menschenmenge, nachdem sie mit Steinen beworfen worden waren. Ein israelischer Militärsprecher sagte, die Soldaten hätten auf einen bewaffneten Mann geschossen, der das Feuer auf sie eröffnet habe.

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