Ich sehe was, was du nicht siehst

Bilder von Saddam Hussein und George Bush waren Thema einer Tagung an der International University Bremen. „Die Macht der Bilder – Key Visuals“ fragte nach zentralen Schlüsselbildern

BREMEN taz ■ Ein Bild: fünf Männer, die ins Wasser gehen. Rötliches Sonnenuntergangslicht. Sichtbar sind nur die nackten Oberkörper. Von hinten. Was ist zu sehen? Eine religiöse Waschung vermutet jemand am einen Ende der Welt. Am anderen Ende tippt man auf kollektiven Selbstmord. Diese unterschiedliche Interpretation eines Fotos fällt Guido Baumhauer – Internet-Redakteur beim Auslandssender Deutsche Welle – beim Stichwort „Schlüsselbild“ ein. Das bisher relativ wenig erforschte Thema stand im Mittelpunkt einer Tagung am Wochenende an der International University Bremen (IUB).

In einer zunehmend visualisierten Welt werde sich zu wenig um die Analyse von Bildern gekümmert, findet Peter Ludes, Professor für Kommunikationswissenschaft an der IUB. „Kindern sollte nicht nur der Umgang mit Wörtern beigebracht werden, sondern ebenso, wie Bilder zu verstehen sind und wie sie funktionieren.“ Schlüsselbilder – oder „key visuals“ – können dabei helfen, ist Ludes überzeugt. Nach seiner Definition funktionieren Schlüsselbilder in der politischen Berichterstattung ganz ähnlich wie Überschriften. Was Schlüsselbilder aber insbesondere kennzeichne sei, dass sie auf etwas verweisen, ohne dass es einer Beschriftung oder Erklärung bedarf. Als einfache Beispiele gelten ein Bild des Dalai Lama oder das Händehalten von Kohl und Mitterand in Verdun. Schlüsselbilder lösen folglich im Kopf ganze Geschichten aus, die mit dem Bild in Zusammenhang stehen. Sie steuern die visuelle Erinnerung, so die wissenschaftliche Meinung. Es gebe Schlüsselbilder, die international bekannt seien, und andere, die nur innerhalb eines Landes oder nur in einem Kulturkreis funktionieren.

Während des Irakkriegs beispielsweise wurden weltweit die gleichen Bilder immer und immer wieder gesendet. Im Fernsehen waren sie in verschiedenen Ländern zwar in ganz unterschiedliche Darstellungsweisen eingebettet: „In Brasilien erinnerte die Irakberichterstattung häufig an eine Seifenoper, in China hingegen eher an ein Computerspiel“, sagt die brasilianische Kommunikationswissenschaftlerin Lucia Santaella. Aber der gefangene, verwahrloste Saddam Hussein beim Speicheltest zum Beispiel sei überall aufgetaucht und gehe als Schlüsselbild womöglich in das kollektive visuelle Gedächtnis ein, erklärt die Wissenschaftlerin weiter.

Der Besuch des US-Präsidenten George Bush auf einem Flugzeugträger der US-Army hingegen wurde nur in wenigen Ländern wiederholt gezeigt, unter anderem in den USA und in Deutschland. Nur in Ländern, folgert Ludes, in denen der Film „Top Gun“ mit Tom Cruise im kulturellen Gedächtnis verankert ist. Die Zuschauer konnten hier problemlos eine Verbindung zum Film herstellen. Die Aussagekraft der Bilder verstärke sich, weshalb sie von den Journalisten jener Länder ausgewählt wurden. Ein Bewusstsein dafür, wie und warum bestimmte Bilder wirken, gebe es jedoch kaum, sagt Ludes. Den Wissenschaftlern geht es nun zum einen darum, zu schauen, wie Schlüsselbilder international rezipiert werden und damit Missverständnissen vorzubeugen. Zum anderen wollen sie gemeinsame Muster bei der Auswahl aufdecken, um die journalistische Bild-Auswahl durchsichtiger zu machen.

Mitte der 80er Jahre tauchte der Begriff Schlüsselbild zum ersten Mal auf, in den USA zunächst, kurz darauf in Deutschland. Nun sollen Schlüsselbilder auch international ausgewertet werden: Die Tagung an der IUB war der Start für ein Forschungsprojekt zum Vergleich von Schlüsselbildern, die über TV, Internet und Mobilfunk in Brasilien, China, Deutschland und den USA verbreitet werden. Wichtig sind für die Kulturwissenschaftler hierfür schnelle technische Auswahlmethoden, um mögliche internationale Schlüsselbilder überhaupt erst auszumachen. Ein Grund, weshalb auch das Technologie-Zentrum Informatik der Universität Bremen an dem neuen Projekt beteiligt ist. Hier haben Wissenschaftler bereits eine Software entwickelt, die aus einzelnen Einstellungen von Fernsehberichten mögliche Schlüsselbilder in Form von key frames auswählt und die Analyse somit vereinfachen kann.

I. SCHRIDDE