Chiffon, Denim, Strick und Nicki

Neue Mädchenhaftigkeit und zurück zur Tradition: Die Modemessen „Premium“ und „Bread & Butter“ und zahlreiche Schauen am Wochenende haben gezeigt, dass die nassforschen Prognosen von der Modemetropole Berlin erstmals Substanz gewinnen

VON KATRIN KRUSE

Viele waren einfach dabei, um den „Optimismus“ zu spüren. Wie sie so von Berlin sprachen, man fühlte sich um Jahre zurückversetzt: Die „Nischen“, die „Kreativität dieser Stadt“, der „Puls der Zeit“. Und alles in Bewegung und so authentisch! Wenig scheint dieser Tage derart auseinander zu streben wie das von seinen Bewohnern gefühlte und das von seinen Besuchern beschriebene Berlin. Doch auch wenn sich die „gute Stimmung“ erst mit dem Blick der Gäste über die Stadt legt, hat das Wochenende der Mode mit den Fachmessen „Premium“ und „Bread & Butter“ sowie zahlreichen Schauen eines gezeigt: Im Schatten der jahrelangen euphorischen Berlin-Rhetorik ist etwas angewachsen, was den nassforschen Prognosen von der Modemetropole erste Substanz verleiht.

Man ist mitten in Berlin. Kaum sind zwischen den zum Klischee geronnenen Bauzäunen die Treppen hinab zur U 3 zu finden. Die Kanzler-U-Bahn ist Ort der „Premium“, wie erstmals auch das große Zelt dahinter – eine Messe, die zum dritten Mal nationales und internationales Modesign, junge Designer, Streetwear und „High-end Fashion“ zeigt. Wer auf ihr eine Tendenz finden will, der mag sagen: neue Mädchenhaftigkeit. Das kann romantisch sein wie die Entwürfe der Berliner Labels „Hartbo & L’wig“, mit zart durchscheinendem Chiffon zu schwingenden Tellerröcken, oder auch folkloristisch, mit Stickereien, Rüschen und Volants wie bei „Lin“ aus Frankfurt am Main. Andere zeigen Papageien- neben Erdbeerprints oder die großknöpfige Kindlichkeit der Sechzigerjahre. Und dann der Strick: Im großen Zelt der exklusiven „Premium +“ verbindet sich traditionsreicher Strick mit der nostalgischen Wendung, etwa bei „Falke“. Dort prognostiziert man die Rückkehr des Pullunders. Und Grit und Jerszy Seymour, vor zwei Tagen von Italien nach Berlin gezogen, zeigen ihr Label „tape“, das zugleich seine Technik benennt. T-Shirts, Hosen und Bikinis sind mit Klebestreifen zusammengehalten, ein Patent, passend zur Zeit und wohl auch zu Berlin, meinen beide. Provisorisch ist das Klebeband, aber in seiner Funktion auch traditionell: Man repariert wieder.

Freitag, 18 Uhr: Mittelstarker Besucherstrom. Dennoch hat die Berliner Firma „Firma“ fünf Orders geschrieben. Einige Kunden kämen gar nicht mehr auf die Pariser Messe, sagt Daniela Biesenbach von Firma. Auch unten in der Kanzlerbahn werden Bestellungen notiert. Ob Berlin zur Modemetropole wird, das hängt davon ab, ob man hier verkaufen kann. Und trotzdem: Neben bekannten deutschen Modemachern wie Dirk Schönberger, Frank Leder und Stephan Schneider, die auf den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris zeigen, haben die Organisatoren der „Premium“, Anita Bachelin und Norbert Tillmann, für das Zelt auch unbekanntere deutsche Modemacher wie „von Wedel & Tiedeken“ ausgewählt.

Gegen die angenehme, weil gleichzeitig reelle wie risikofreudige Unaufgeregtheit der „Premium“ wirkt die „Bread & Butter“, diese „Tradeshow für Selected Brands“ für Street- und Jeanswear, die zweite große Messe des Wochenendes, wie ein „vielfältig zirpendes Areal der Lebensstile“. Auf dem Gelände um das ehemalige Siemens-Kabelwerk in Spandau lässt sich zwischen Karussell, Strand, Pool mit Sitzwannen, diversem Catering und DJs der unerwartet einfallende Sommer feiern. Dass es hier weniger um Mode als um Brands geht und um Lifestyle lässt sich in und außerhalb der Hallen erkennen: zum Beispiel schon an den effizient performierten Strickcode-Checks der Akkreditierung.

Seit sie vor drei Jahren die „Bread & Butter“ ins Leben riefen, haben Karl-Heinz Müller, Wolfgang Ahlers und Kristyan Geyr sehr viel erreicht: 605 Aussteller, 16.824 Besucher am ersten Tag, 52 Prozent der Besucher aus dem Ausland. Mit diesem Erfolg im Rücken kann man sich schon ein wenig feiern lassen. Wie bei der Pressekonferenz auf gold-barockem Sofa. Opulentes Sitzen, opulente Rhetorik: Flauschige Anglizismen fallen in der Überzahl, doch hinter ihnen bleibt nur Lifestyle zurück. Nicht dass Mode nicht mit Lebensstil verbunden wäre – wenn sie aber nicht mehr Form, sondern nur mehr Styling ist, wird auch die Erlebniswelt karg. Keine Kleidung ohne Produktphilosophie, schön. Aber Produktphilosophie ohne Mode? Markenbewusstsein geht eben nicht immer mit Individualismus zusammen – darüber kann das größte rhetorische Gewedel der „Bread & Butter“-Macher nicht hinwegtäuschen. Künftig, sagt Müller noch, werde es „eine Kids Area“ geben und „Aroma-DJs“. Hm.

Doch wird es auch einen Grund geben, warum erstmals „Boss“ bei der „Bread & Butter“ dabei ist, ebenso „Strenesse“. Er fühle sich, sagte Gerd Strehle von Strenesse um fünfunddreißig Jahre verjüngt: „Bread & Butter“ bringt die Jeunesse zurück. Zum Beispiel junge Labels wie „Juicy Couture“, die den Nicki-Jogginganzug abendtauglich gemacht haben. Und was bringt das Frühjahr 2005 für klassische Denim Labels? „Details, that surprise you a little but don’t make you afraid“, so fasst es Edwin-Designer Mille Monferin zusammen. Jede Taschenziernaht etwa hat eine andere Farbe.

Die „Premium“ und die „Bread & Butter“ – das sind zwei Messen, deren Gleichzeitigkeit ein Chance für Berlin ist – es sind aber auch zwei Messen, die sich weitgehend ignorieren. Flankiert wurden sie am Wochenende übrigens auch von zahlreichen Modenschauen. Die Beck’s Fashion Experience präsentierte im Museum für Kommunikation die Entwürfe von sieben Nachwuchsdesignern; beim Walk of Fashion liefen hundert Models die Oranienburger Straße hinunter. Die hübscheste und versponnenste Stöckelei jedoch lieferten Mari Ottberg, Modemacherin, und Fiona Bennet, Hutmacherin, im Hof des Restaurants „Maxwell“. Ihre Schau „Late Lunches“ ist eine Hommage an Blattgold, hineingerinselt in Champagner. In London, wo sie zuvor lebte, habe sie einmal zwei Ladys beim „Late Lunch“ beobachtet, erzählt Ottberg. Diese Dekadenz wollte sie nach Berlin bringen.

Berlin sah an diesem Wochenende zu und warf wie gewohnt den Blick auch ganz emsig auf sich selbst. Immerhin: Es hat stattgefunden. Und es wird besser werden.