Zeitspiel um die Hartz-Reform

Die Arbeitsagentur verschickt die Formulare für das künftige Arbeitslosengeld II. Und hofft auf einen schnellen Rücklauf. Anti-Hartz-Aktivisten setzen derweil auf Verzögerungen beim Ausfüllen

von RICHARD ROTHER

Der gestrige Auftakt der Umsetzung der Hartz-IV-Reform gibt einen Vorgeschmack auf die kommenden politischen und bürokratischen Auseinandersetzungen: Während Boulevardzeitungen Hilfestellungen zum korrekten Ausfüllen der Formulare geben, setzen Betroffene und Aktivisten auf eine Mischung aus Protest und eine Art Boykott nach Vorschrift. Sie rufen die künftigen Arbeitslosengeld-II-Empfänger auf, sich beim Ausfüllen der Fragebögen Zeit zu lassen und so „Sand ins Hartz-Getriebe“ zu schütten. Derweil bemühen sich Arbeitsagentur und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), die Hartz IV eigentlich ablehnt, die organisatorischen Voraussetzungen für die Umsetzung zu schaffen.

Die Hartz-IV-Gesetze sind beschlossene Sache – initiiert von der rot-grünen Bundesregierung und mit Unterstützung von CDU, FDP und der Mehrheit der westdeutschen Bundesländer durchgebracht. Dennoch „können wir uns wehren“, meinen Anti-Hartz-Aktivisten. Ihre Hoffnung: Geben sehr viele Betroffene ihre Anträge erst auf den letzten Drücker ab, wird das als Ausdruck von Unmut verstanden. Ihr Argument: Unklar sei, wo die Anlaufstellen sind, „und wir, die betroffenen BürgerInnen, sollen nichts Eiligeres zu tun haben, als unsere Lebensverhätlnisse offen zu legen?“

Seit gestern werden die Formulare für das künftige Arbeitslosengeld II verschickt, das die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau reduziert. Zunächst bekommen die rund 170.000 Berliner Arbeitslosenhilfebezieher die Formulare, ab August kriegen auch die als arbeitsfähig eingestuften Sozialhilfeempfänger Post. Sie sollen in den nächsten Wochen peinlich genau über ihre Lebens- und Vermögensverhältnisse Auskunft geben – Voraussetzung für den Bezug der staatlichen Leistung.

In der Regel werde man aufgefordert, zu einem bestimmten Termin den Antrag bei der Arbeitsagentur abzugeben, sagen Erwerbslosenaktivisten. Sollte man noch mehr Zeit brauchen, solle man einen späteren Termin vereinbaren. Um den Leistungsanspruch zu wahren, reiche es aber, den Antrag bis zum 31. Dezember 2004 abzugeben. Zudem könne zwischen dem Tag der Antragsabgabe und dem 1. Januar eine längere Zeit vergehen. Etwaige Änderungen sollten Betroffene der Arbeitsagentur mitteilen, heißt es. „So kann es sich beispielsweise günstig auf Ihren Leistungsanspruch auswirken, wenn sich Ihre Ersparnisse zwischenzeitlich reduziert haben oder vorhandene Einkommen geringer geworden sind.“

Sollte eine große Anzahl der Betroffenen ihre Anträge erst sehr spät einreichen, würde dies die Ämter in Schwierigkeiten bringen. Der Sprecher der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Olaf Möller, warnt denn auch davor, die Antragstellung auf die lange Bank zu schieben. Immerhin müsse eine Reihe von Belegen beigefügt werden, darunter von Vermietern, Arbeitgebern, Versicherungen. Bis Ende September sollten alle Unterlagen eingereicht werden, so Möller. Je früher dies geschehe, desto schneller könnten die Bescheide über das Arbeitslosengeld II ausgestellt werden.

In den Kiezen werden bereits Beratungsstellen für Betroffene eingerichtet – und zwar sowohl von der Arbeitsagentur als auch von Vereinen und Initiativen (siehe Kasten). Hier kommen auch Berater, die über die nötigen Fremdsprachenkenntnisse verfügen, zum Einsatz. Zumindest so schafft die Hartz-Reform einige Jobs, und was für welche: Allein in Neukölln sollen 65 ABM-Kräfte in den Wohngebieten beim Ausfüllen der Formulare helfen.

Auch die Behörden kommen bei der Umsetzung der umstrittenen Arbeitsmarktreform voran. Heute soll die so genannte Rahmenvereinbarung zwischen dem Land Berlin und der Arbeitsagentur vom rot-roten Senat beschlossen werden. Die Vereinbarung regelt, wie Arbeitsagentur und Bezirke miteinander kooperieren, um künftig eine Anlaufstelle für Betroffene zu schaffen. Zwölf dieser so genannten Job Center soll es künftig in Berlin geben. Die Rahmenvereinbarung sei „bundesweit ein Novum“, betont die Sprecherin der Sozialverwaltung, Regina Kneiding. Dennoch werde es für die Ämter schwierig.