Die Börsenlügner müssen wieder zittern

Geprellte Anleger können nun doch Schadenersatz für Falschinformationen verlangen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs im Falle Infomatec gibt einem klagenden Aktionär Recht. Sein Anwalt erwartet jetzt eine Klagewelle gegen frühere Vorstandschefs

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Neue Hoffnung für geprellte Aktionäre. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern entschieden, dass Firmenvorstände persönlich haften, wenn sie Anleger mit Falschinformationen zum Kauf später wertloser Aktien verlocken. Der siegreiche Anwalt Klaus Rotter aus München rechnet nun mit einer Klagewelle.

Konkret ging es gestern um die Augsburger Infomatec AG, die 1998 an die Börse ging. In einer für die Börse wichtigen „Ad-hoc-Mitteilung“ berichteten die Firmengründer Alexander Häfele und Gerhard Harlos im Mai 1999 vom „größten Deal der Firmengeschichte“. Die Telefonfirma MobilCom habe 100.000 Surfstationen im Wert von 55 Millionen Mark bestellt. In der Folge schnellte der Kurs der Aktie, die am Ausgabetag nur 27,10 Euro kostete, auf 318 Euro hoch.

Doch die Börsenmitteilung war nicht richtig. Tatsächlich hatte MobilCom nur 14.000 Stationen bestellt, für die übrigen Softwarepakete gab es lediglich unverbindliche Absichtserklärungen. Ab 2000 brachen die Kurse von Infomatec ein, heute ist die Aktie fast wertlos.

Die Anleger fühlten sich getäuscht und forderten ihr Geld zurück. Ein Dortmunder Metzger, der auf Kredit Infomatec-Aktien im Wert von 45.000 Euro gekauft hatte, bekam vom Landgericht Augsburg sogar Schadenersatz zugesprochen – es war die erste erfolgreiche Anlegerklage nach dem Börsencrash. Doch die nächste Instanz, das Oberlandesgericht München, hob das anlegerfreundliche Urteil wieder auf. Der Gesetzgeber habe im Aktienrecht keine Rechtsgrundlage für solche Schadenersatzklagen geschaffen, so die Münchner Richter.

Das oberste deutsche Zivilgericht entschied nun aber im Sinne der Aktionäre. Die Karlsruher Richter erklärten eine alte Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs für anwendbar. Demnach kann es eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ sein, wenn Anleger gezielt in die Irre geführt werden. Nachweisen muss ein Aktionär immerhin, dass er die Aktien vor allem wegen der Falschinformation gekauft hat und dass die Manager vorsätzlich gehandelt haben. Der Vorsatz der Chefs ist recht leicht zu beweisen, wenn schon eine strafrechtliche Verurteilung wegen Insiderhandel und Kursbetrug vorliegt – wie etwa im Fall der Infomatec-Firmengründer Häfele und Harlos. Und für die Kausalität des Aktienkaufs haben die Richter nun relativ milde Anforderungen aufgestellt. So kann es ausreichen, dass durch die falsche Ad-hoc-Mitteilung eine „Anlagestimmung“ zugunsten der Aktie erzeugt wurde.

Künftig gilt deshalb: Je schneller der Aktienkauf nach der Falschinformation erfolgte, umso eher kann Schadensersatz verlangt werden. Der Dortmunder Metzger hatte seine Aktien zwei Monate nach der geschönten Mitteilung erstanden. Er kann nun das investierte Geld zurückfordern. Offen ist aber noch, ob es bei Nägele und Harlos überhaupt etwas zu holen gibt. Klägeranwalt Rotter gibt sich optimistisch: „Wer im Prozess sieben Anwälte bezahlen kann, muss auch Geld haben.“ Außerdem habe der Staat Vermögen von Infomatec eingezogen, das nach Rotters Ansicht den geprellten Anlegern zusteht. Auswirkungen hat das gestrige Urteil auch auf etwa zwanzig ähnlich gelagerte Firmenschicksale. So können sich zum Beispiel Anleger freuen, die gegen die Exvorstände von EM-TV (die Gebrüder Haffa) und ComRoad (Bodo Schnabel) geklagt haben.

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