20. juli 1944
: Lernziel Courage

Der 20. Juli, der „Aufstand des Gewissens“, gehörte jahrzehntelang zum legitimatorischen Traditionsbestand der Bundesrepublik. Schließlich galt es, der neu entstandenen Bundeswehr zu honorigen Ahnen zu verhelfen. Für die DDR erfüllte der antifaschistische Kampf der Kommunisten die gleiche Funktion. Was auch immer gegen die SED vorgebracht wurde, ihr antifaschistisches Erbe stand auch bei den Regimegegnern außer Zweifel. Dieses spiegelbildliche Verhältnis war nützlich für die Geschichtspolitik in beiden deutschen Staaten, diente aber wenig der Wahrheitsfindung.

KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Während die SED bis in die 80er-Jahre den „20. Juli“ als Unternehmen einer einheitlich reaktionären Offizierskamarilla verdammte, wurde in der Bundesrepublik der kommunistische Widerstand zum Werkzeug der sowjetischen totalitären Expansionspolitik degradiert. Mit der demokratischen Revolution in der DDR und der ihr folgenden deutschen Einheit entfiel dieser wechselseitige Legitimationszwang. Aber von einer alle Seiten berücksichtigenden Würdigung des Widerstands sind wir noch weit entfernt.

Für die Behandlung des kommunistischen Widerstands ist das Defizit offenkundig. Man denke nur an die Geringschätzung, mit der der Kampf der wenigen illegalen Kommunisten in Deutschland und ihrer tapferen Inlandsleitung um Anton Saefkow, bei der alle ihren eigenen, von der Moskauer Zentrale unabhängigen Kopf hatten, bedacht wird.

Hinsichtlich der Offiziersverschwörung des 20. Juli fehlt es nach wie vor an der Arbeit der Entmystifizierung, trotz wichtiger historischer Schneisen, wie sie beispielsweise der Historiker Christian Gerlach geschlagen hat. Worauf es ankommt, ist die uns heute abstoßende Vaterlands- und Ehre-Mystik, dieses ganze deutsche Verhängnis samt seinen verbrecherischen Folgen auch bei den Verschwörern des 20. Juli dingfest zu machen. Gleichzeitig aber bleibt notwendig, den Entscheid zum Attentat bei einer Reihe dieser Verschwörer auch als Bruch mit den historischen Umständen zu begreifen, die sie geprägt hatten.

Es stimmt schon: „Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat.“ Aber bis wir so weit sind, braucht es oft genug außer Verstand auch Courage. Das lernen wir von Georg Elser, von den einsamen Widerstandskämpfern gegen den Nazismus – und davon finden wir auch etwas bei den so spät gekommenen, so halbherzigen Verschwörern des 20. Juli.