Illegalität als eine Alternative

Flüchtlingsberater beklagen auf einer Tagung in Schwerte das neue Zuwanderungsgesetz. Der Flüchtling muss im Zentrum stehen – auch wenn er es vorzieht in die Illegalität abzutauchen

Flüchtlingsberatung heißt die „modernen Vogelfreien“ zu unterstützen

AUS SCHWERTECLAUDIUS VOIGT

Wie freiwillig kann die Ausreise abgelehnter Asylbewerber sein? Handelt es sich dabei nicht um eine „Abschiebung light“, bei der nur auf den Bundesgrenzschutz verzichtet wird? Kann der Gang in die Illegalität also eine legitime Alternative sein, zu der Flüchtlingsberater ihren Klienten sogar raten sollten? Antworten darauf suchten am vergangenen Wochenende Flüchtlingsberater im Haus Villigst in Schwerte, in das die Evangelische Akademie Iserlohn und das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche geladen hatten.

Einig waren sich die Anwesenden in der Lageanalyse: Die Asylpolitik wird restriktiver und die Flüchtlingszahlen sinken – im vergangenen Jahr erhielten 3.100 Personen politisches Asyl oder eine vergleichbare Anerkennung. „So viele wie in eine mittelgroße Turnhalle passen“, sagte Bernd Mesovic von Pro Asyl.

Und die Perspektive? Das neue Zuwanderungsgesetz bringe kaum Besserungen, so Mesovic: Kettenduldungen seien nicht abgeschafft. Für viele werde es weiterhin kaum möglich sein, nach Jahren einen sicheren Aufenthaltsstatus zu erhalten. „Die Flüchtlingslobby muss das Zuwanderungsgesetz also auspressen wie einen alten Käse“, so Mesovic: „Wir müssen die Definitionsmacht über die zahlreichen Leerstellen im Gesetz erkämpfen.“

Eine Besserung der Lage kann es für Hans Wolfgang Gierlich nur durch eine Änderung der Entscheidungspraxis des Asyl-Bundesamtes geben. Rund 30 Prozent der Flüchtlinge seien wegen politischer Verfolgung oder Kriegserfahrungen traumatisiert – also schwer erkrankt. Aber nur rund drei Prozent der Anträge beim Bundesamt werden anerkannt: „Das Wunder von Nürnberg: Aus 30 Prozent werden drei Prozent.“ Kein gutes Haar ließ Gierlichs an seinen Berufskollegen: Viele Ärzte stellten Gutachten aus, die sich allein auf die Flugreisetauglichkeit beziehen. Die medizinische Versorgung im Herkunftsland bliebe außen vor. Dabei hatte der Ärztetag im Mai etwas anderes beschlossen: „Die Beschränkung einer medizinischen Begutachtung auf bloße Reisefähigkeit ist nicht mit den ethischen Grundsätzen der Ärzteschaft vereinbar.“

Und wie steht‘s mit der freiwilligen Rückkehr? „Wir unterstützen Flüchtlinge, wenn sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren möchten“, so Danijela-Jelena Medved von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) – “Freiwillige Rückkehr unter dem Druck der sonst drohenden Abschiebung ist nicht freiwillig, sondern erzwungen“, entgegnete Leyla Arslan von der Kölner Beratungsstelle agisra. Sie kenne keinen Flüchtling, der in der freiwilligen Ausreise eine Alternative sehe. Vielmehr setzten abgelehnte Asylbewerber auf die Möglichkeiten der Weiterwanderung, Duldung oder den Gang in die Illegalität. Und Thomas Berthold vom Antirassismus-Büro Bremen wies darauf hin, dass die IOM neben der „freiwilligen Rückkehr“ auch die Schulung von Grenzbeamten zur Flüchtlingsabwehr in der Ukraine übernehme und in Australien das berüchtigte Flüchtlingslager Nauru betreibe. „Die IOM arbeitet im staatlichen Auftrag für die Kontrolle von Migration und nicht für Migranten.“

Die Parteilichkeit auf der Suche nach einem sicheren Aufenthaltsort sei jedoch eine unverzichtbare Grundhaltung der Flüchtlingsberatung, so Dietrich Eckeberg, Flüchtlingsbeauftragter beim Diakonischen Werk Westfalen. „Die Frage, was will der Flüchtling, muss im Mittelpunkt stehen.“ Und wenn der Flüchtling in die Illegalität untertaucht? Dann müsse die Flüchtlingsberatung ihn über die Konsequenzen aufklären, so Eckeberg. Und ihn, „den Vogelfreien der Moderne“, letztlich unterstützen, soweit dies gesetzlich möglich ist – humanitär, medizinisch und sozial.

Quintessenz der Tagung: Der Druck auf die Flüchtlingsbewegung, verstärkt auf „freiwillige Ausreise“ zu setzen, wird zunehmen. Große Teile der Initiativen sehen hinter dieser Freiwilligkeit jedoch einen Zwang, der sich nur graduell von dem einer Abschiebung unterscheide. Berthold vom Antirassismus-Büro: „Wir müssen uns dagegen wenden, Flüchtlingspolitik nach dem Nützlichkeitsdenken zu machen.“