Das hätte man hören können

Rosarote Swing-Brille: Wynton Marsalis

Als Wynton Marsalis nach langen Minuten zur dritten Zugabe auf die Bühne kommt, strömen die Zuschauer zurück ins Parkett der Musikhalle und werden belohnt – mit der Ballade „Embraceable You“, mit der der nach Miles Davis wohl bekannteste Trompeter der Welt zeigt, dass er sein Instrument umfassend beherrscht. Seine matt schimmernde Trompete singt mit warmem, zentrierten Ton, von sonoren Tiefen bis zu feinen Tupfern ganz ganz oben.

Ebenso umfassend wie sein Instrument beherrscht der tadellose Musiker allerdings auch das Lincoln Center Jazz Orchestra. Er leitet die Bigband-Besetzung dezent aus der letzten Reihe, vom Platz des ersten Trompeters aus. Das funktioniert so reibungslos, dass es kaum noch als Understatement wahrnehmbar ist. Denn das renommierte Jazzensemble ist sein verlängerter Arm – ein Klangkörper, der Wynton Marsalis die Möglichkeit gibt, zur gleichen Zeit auch Saxophone, Posaunen, Bass, Klavier und Schlagzeug zu spielen. Das Jazz Orchestra bringt selbst schwierigste Arrangements lupenrein zum Klingen, nur bleibt diese fehlerfreie Musik ohne Mut zum Risiko und schließlich: langweilig.

„Out Here To Swing“ heißt das aktuelle Programm, und Marsalis erweist dem Sound der 30er und 40 Jahre alle Ehre. Doch was damals Tanzsäle in Bewegung setzte, ist heute nur respektvoll arrangiertes Museumsstück. Gerade weil Marsalis dem Jazz Anerkennung als Kunst verschaffen will, verschwindet jedes Leben aus der Musik, die immer unmittelbar für den Augenblick gedacht war. Immerhin gemeindet Marsalis jetzt sogar Ornette Coleman ein – der Aufbruch des Free Jazz wird bei ihm eben zu komplexem Swing. Alles so rosarot hier! Tobias Richtsteig