Kabinett beschließt Aufschwung

Steuersenkungen und Reformen auf dem Arbeitsmarkt sollen die träge Konjunktur zu sportlichen Höchstleistungen animieren. Schröder sieht „keine vernünftige Alternative“. Umweltminister Trittin kündigt Halbierung der Entfernungspauschale an

BERLIN taz/rtr/dpa ■ Die Bundesregierung hat der Konjunktur gestern verordnet, ihren lange erwarteten Aufschwung zum Jahreswechsel endlich zu vollziehen. Steuersenkungen und Reformen auf dem Arbeitsmarkt sollen die träge Diva auf die Beine bringen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte in Berlin, die Beschlüsse sollten die positiven Tendenzen in der Wirtschaftsentwicklung unterstützen. Dies sei „mit den Beschlüssen des Kabinetts außerordentlich gut und richtig gelungen“.

Jetzt steht dem Wachstum also nichts mehr im Wege – vorausgesetzt, die Union stimmt dem Wirtschaftsaufschwung im Bundesrat zu. Schröder bot der Opposition Gespräche an, machte aber deutlich, dass sie noch nicht einmal über ein einheitliches Konzept zur Behinderung der Konjunktur verfüge.

Die Union bezweifelte dagegen die Fähigkeit der Regierung, die Konjunkturbelebung einfach so zu dekretieren. Die Regierungspläne bildeten „keine Grundlage für ernsthafte Verhandlungen“, sagte CDU-Chefin Angela Merkel. Wenn Rot-Grün die Zustimmung der Union im Bundesrat gewinnen wolle, müsse „etwas Besseres vorgelegt“ werden. Wie sie das Vorziehen der Steuerreform auf Januar 2004 finanzieren will, mochte Merkel freilich nicht erläutern. „Ich muss mich darauf beschränken, die Mängel der Regierungspolitik zu benennen“, so Merkel.

Nach den Kabinettsbeschlüssen soll die Wirtschaft mit drastischen Maßnahmen zum Wachstum gezwungen werden. Dazu zählen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit, die Reform der Gewerbesteuer sowie die Finanzierung der vorgezogenen Steuerentlastung überwiegend durch Schulden. Die gleichfalls verabschiedeten Begleitgesetze zum Haushalt 2004 sehen die Streichung der Eigenheimzulage und die Einschränkung der Verlustverrechnung bei Unternehmen vor.

Außerdem will die Regierung die bisherigen Steuerausfälle im Zusammenhang mit der Entfernungspauschale auf die Hälfte reduzieren. Darüber bestehe Einigkeit zwischen SPD und Grünen, sagte der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin der taz. Die nächst liegende Möglichkeit dafür sei, so Trittin, die bisherigen Sätze um 50 Prozent zu kürzen. Für Strecken zwischen Wohnung und Arbeitsplatz könnten dann nur noch 18 Cent (bis zehn Kilometer) und 20 Cent (ab dem elften Kilometer) vom Einkommen abgezogen werden.

Mit den Kabinettsbeschlüssen ist der erste, aber auch einfachste Schritt für den Aufschwung genommen. Die Bundesregierung muss sich auf Änderungen einstellen, da die Vorhaben bei der Opposition in vielen Landesregierungen, aber auch innerhalb der rot-grünen Koalition auf teils massive Vorbehalte stoßen.

Nach Ansicht Schröders gibt es deutliche Tendenzen, dass sich das Wirtschaftswachstum im zweiten Halbjahr verbessert. „Es kommt darauf an, in dieser Situation die positiven Tendenzen zu unterstützen.“ Der Regierungs-Ukas an die Konjunktur sei „ohne vernünftige Alternative“. Dennoch zeigte sich Schröder offen für alternative Vorschläge der Union, die offenbar nur unvernünftig sein könnten. Derzeit habe sich die Opposition aber noch nicht entschlossen, auf welche Art der Unvernunft sie sich festlegen wolle. „Wenn ich das richtig gelesen habe, werden etwa vier oder fünf Positionen in der Union vertreten.“ Er gehe davon aus, dass nach der bayerischen Landtagswahl am 21. September wieder vernünftige Gespräche mit der Union möglich seien. RAB, KOCH

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