strafplanet erde: tour de luther von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Um den subtilen Reiz der folgenden schattigen Impression nachzuempfinden, muss man nicht wissen, was die zweite Lautverschiebung ist. Crashkursorisch genügt der beispielhafte Hinweis, dass des hochdeutschen Teufels englischer Bruder unter dem Namen devil sein heimtückisches Unwesen treibt, dem der niederdeutsche Düwel wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Hinter diesen Verwandtschaftsbeziehungen steckt jene Herkulesarbeit vom Verschieben der Laute, die mit dem Verschieben der Leute einer Fußballmannschaft auf’m Platz nicht das Geringste gemein hat.

Ein Freund, der sich hochtrabend als Agnostiker begreift, fährt auf einer Etappe seiner täglichen Radtour zur Arbeit die Lutherstraße in Hannover entlang. Das ist an und für sich nicht der Rede wert, nichts Extravagantes, fahren doch jeden Tag tausende, ach wo, Millionen Menschen in Deutschland irgendeine Lutherstraße entlang. Wenn es der Top-Reformator im ZDF-Ranking „Unsere Besten“ auf Platz zwei gleich hinter Adenauer geschafft hat, weit vor Thomas Gottschalk und Steffi Graf, dann sollte das an der Topografie der Städte abzulesen sein. Luther steht nun mal da, er kann nicht anders. Und seine street credibility hat sicher nichts mit den grauenhaften antisemitischen Pamphleten zu tun, zu denen sich der späte Luther hat hinreißen lassen.

Das Besondere, nachgerade exorbitant Metaphysische dieser Lutherstraße, stellte unser Agnostiker während seiner Radtour fest, ist ihr „performatives Setting“, um es mit einem aktuellen Begriff des Kulturbetriebs zu sagen: Im Westen geht sie ab von der Schlägerstraße, die offensichtlich an Luthers Haltung zur Gewaltfrage während der Bauernkriege erinnert. Oder war es vielmehr eine „treue Vermahnung an alle Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“? Noch während dieser Überlegungen ging der Fahrer eines VW Touareg in die Eisen und empörte sich über den sinnierenden Radfahrer. Von nichts ’ne Ahnung, aber davon eine Menge, zwang sich der schreckensbleiche Agnostiker zur Aufmerksamkeit; beschloss, die Angelegenheit im Auge zu behalten.

Es war nicht weit bis zur nächsten verkappten Offenbarung: Bevor die Luther- die Marienstraße kreuzt, liegt links der Jungfernplan. Ein doppelter Verweis auf die unbefleckte Empfängnis? Wer’s glaubt, wird selig? Die winzige Zwinglistraße passierend, mulmte in dem Pedaltreter Diffuses, doch er kurbelte weiter, um der heillosen konfessionellen Debatte zu entrinnen.

Die Stolzestraße zwängte er in die Liste der Todsünden, das bot sich an, dachte er, ihm blieb nichts anderes übrig. Nah jetzt das Ende, das Licht der Erkenntnis: Die Lutherstraße trifft auf die quer verlaufende Große Düwelstraße. Luther stößt auf den Großen Teufel, dessen Anwesenheit ihm Einhalt gebietet. Das Tintenfass, das er Satan entgegenschleuderte, wie es die Legende will, zerschellt folgenlos am Rande eines Gewerbegebiets, wo ein Baumarkt residiert, der noch vor wenigen Jahren „Himmler Baustoffe“ hieß. Ein Triumph des Bösen, von kommunalen Politikern versehentlich beschlossen. Das war die einzig denkbare Interpretation.

Und wie ist es in Gegenrichtung betrachtet? In Gegenrichtung ist es noch schlimmer.