Vom Diener zum Jäger

Während sich Lance Armstrong mit seinem Sieg auf der 15. Etappe der Tour de France das gelbe Trikot holt, verliert der Österreicher Georg Totschnig zwar Zeit, verteidigt aber seinen Platz in den Top Ten

AUS VILLARD-DE-LANSSEBASTIAN MOLL

Das Kunststück vom Plateau-de-Beille konnte Georg Totschnig gestern nicht wiederholen. Dort, in den Pyrenäen, hatte der kleine, 61 Kilo leichte Radprofi aus dem Zillertal nur Lance Armstrong und Ivan Basso davonziehen lassen müssen, die komplette übrige Weltelite der Bergfahrer ließ er hinter sich. Gestern in den Alpen fiel er auf der 15. Etappe früh aus der Gruppe der Spitzenfahrer, kämpfte aber wacker und verlor am Ende als 16. nur 2:13 Minuten auf den erneuten Tagessieger Lance Armstrong, der endlich auch das gelbe Trikot vom weit zurück gefallenen Franzosen Thomas Voeckler übernahm. Der Texaner hatte sich auch nicht durch einen Angriff von Jan Ullrich aus der Ruhe bringen lassen, der zeitweise fast eine Minute Vorsprung herausfuhr. Am Ende war Ullrich Dritter hinter Armstrong und Basso, Andreas Klöden wurde Vierter.

Mit einem Vorsprung von 1:25 Minuten vor Basso kann Armstrong heute in das spektakuläre Bergzeitfahren nach L’Alpe d’Huez gehen, dahinter folgen Klöden (3:22 zurück), Mancebo (5:39) und Ullrich (6:54). Totschnig liegt mit 8:19 Minuten Rückstand auf dem siebten Rang und hat sich unter den Großen des Radsports etabliert. Dazu hat er vier Jahre der harten Arbeit, der Geduld, der Demut und der Zweifel gebraucht. Und scheint es jetzt, da er es geschafft hat, noch ein wenig zögernd wahrzunehmen. Als Ziel für die letzte Woche hat sich Totschnig gesteckt, „noch einmal bei einer Etappe gut abzuschneiden“. Etwa beim heutigen Bergzeitfahren, dessen Anforderungen den Talenten des Kletterers aus Tirol ideal entsprechen.

So zögerlich Totschnig seinen neuen Status in der Hackordnung des Tourrudels annimmt, so zäh war seine Wandlung vom Domestiken zum Kapitän. Noch heute hat er Schwierigkeiten, von sich als Kapitän zu sprechen: „Ja sicher, hier bei der Tour bin ich der Kapitän. Aber ich würde mir niemals anmaßen, mich das Jahr über so aufzuführen.“ Dass er überhaupt seine eigene Karriere vorantrieb, anstatt Helfer zu bleiben, verdankt er einer Mischung aus Frustration und dem Zureden seines Sportlichen Leiters bei der Gerolsteiner Mannschaft, Hans-Michael Holczer.

Totschnig hatte beim Team Telekom brav Bjarne Riis und Jan Ullrich unterstützt, war Teil der Siegermannschaft von 1997. Er war stolz, solch großen Fahrern zu dienen, und verstand es deshalb nicht, dass die Mannschaftsleitung ihn 2000 nicht für die Tour nominierte. Deshalb traf er sich im Herbst 2000 in einem McDonald’s an der Tiroler Autobahn mit Holczer.

Holczer hatte damals nicht viel zu bieten, außer Energie und Hoffnung. Gerolsteiner war eine Mannschaft der zweiten Kategorie. „Das war ein großes Risiko“, sagt Totschnig heute. Doch Holczer überzeugte ihn mit seiner Entschlossenheit, und so wurde der Österreicher eine zentrale Figur im Aufstieg des Teams zu einer der großen Mannschaften im Radsport. Der Weg war lang und geprägt von einer gesunden Mischung aus Ehrgeiz und Realismus – jenen Charaktereigenschaften, die Holczer und Totschnig verbinden. Und die sich nicht geändert haben: „Wenn ich am Freitag noch gut liege, dann denke ich über die Gesamtwertung nach“, sagt Totschnig. Der Österreicher tut einen Schritt nach dem anderen – und freut sich still über das Erreichte, anstatt nach den Sternen zu greifen.