BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Die Garanten der inneren Flugsicherheit

Ehemalige Stasi-Spitzel sind mir zutiefst unsympathisch. Mit einer Ausnahme: Sie arbeiten als Flugzeugmechaniker

Hört, hört. Ein Flugzeugmechaniker, der für die Stasi gearbeitet hat, stellt nicht unbedingt eine Gefahr für die Luftfahrt dar. So urteilte kürzlich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Der Freistaat Sachsen hatte einem ehemaligen Spitzel wegen seiner unrühmlichen Vergangenheit die „persönliche Zuverlässigkeit“ abgesprochen, die für das Betreten der Sicherheitsbereiche eines Flughafens nötig sei. Doch das Bundesverwaltungsgericht meint, dass die heiklen Bereiche nur dann verschlossen bleiben dürfen, wenn die Überprüfung des Mannes auch für die Zukunft ein Risiko ergebe. Die frühere Stasi-Mitarbeit allein reiche nicht aus, die persönliche Zuverlässigkeit für alle Zeiten zu verneinen.

Na, das möchte ich aber meinen. Nicht dass ich plötzlich Verständnis hätte für Subjekte, die die grundlegendsten Regeln des menschlichen Umgangs nicht respektieren. Stasi-Fritzen sind unsympathisch und haben eine sehr verschrobene Vorstellung von Anstand und Moral. Aber sie waren die Zuverlässigkeit in Person! Jede Anweisung wurde ausgeführt, jede Vorschrift verinnerlicht, stets waren sie zur Stelle, wenn der Führungsoffizier rief. Mit gespitztem Bleistift, gespitzten Ohren und der Bereitschaft, selbst die Gedanken Abtrünniger zu protokollieren. Ich weiß, wovon ich rede.

Es war im Sommer 1986, als ich die Faxen dicke hatte und beschloss, meinen Wunsch nach Veränderung in meinem Leben nicht länger dem Weihnachtsmann zu überlassen. Ich legte ein neues Farbband in meine mechanische Erika-Schreibmaschine ein und verfasste einen Ausreiseantrag. Danach war es mir leichter ums Herz. Aber abgeschickt habe ich den Antrag nie. Es fehlte nicht am Geld fürs Porto, sondern am Mut. Ich hatte Angst, von zuverlässigen Stasi-Spitzeln traktiert zu werden. Also biss ich die Zähne zusammen und fristete weiter mein sozialistisches Dasein.

Einige Monate nachdem ich den Ausreiseantrag für meine eigene Wiedervorlage getippt hatte, bewarb ich mich als Dolmetscherin – und wurde abgelehnt. Als ich eine Begründung wissen wollte, wedelte der zuständige Herr hinter seinem Schreibtisch mit einem zigarettenschachtelgroßen Blatt Papier und teilte mir mit, dass darauf Informationen stünden, die es ihm unmöglich machten, mich zu beschäftigen.

Ich fragte den Typen, ob es ihm etwas ausmachen würde, etwas genauer zu werden. Es schien ihm etwas auszumachen. Er druckste herum, auf der Suche nach den passenden Worten. Schließlich rückte er nicht mit dem Zettel, aber mit der Sprache heraus. „Sie haben einen Ausreiseantrag gestellt.“

Das saß. Ich fiel fast vom Stuhl. Woher wusste er von dem verfassten, aber nicht abgeschickten Antrag? Mir wurde schwindlig. Hatte ich ihn in einem schwachen Moment oder im Suff der Post anvertraut und konnte mich nicht mehr erinnern? Unmöglich. Schließlich ging es nicht um einen Urlaubsgruß.

Die einzige Erklärung, die ich dafür fand, dass er mehr über mich wusste als ich, war die, dass die Stasi-Zuträger ihre Ohren überall hatten und auch bei der Verbreitung ihrer Informationen hervorragend arbeiteten.

Ehemalige Arbeitskollegen grüßten mich nicht mehr, sondern behandelten mich, als hätte ich die Pest, schlimmer noch, als wäre ich schon ausgereist. Sie wendeten sich ab, wenn sich unsere Wege kreuzten. Sie wollten nicht mit einer Bürgerin gesehen werden, die einen Ausreiseantrag gestellt hatte.

Selbst wenn ich diese kollektive Ablehnung den eifrigen Diensten eines IM-Mechanikers zu verdanken hätte, fordere ich hiermit, ihn unverzüglich einzustellen und ihm alle Sicherheitsbereiche von Flughäfen zugänglich zu machen.

Nicht nur, weil er ein Garant für Sicherheit ist. Sondern auch, weil er mit seiner damals erlernten Weitsicht Anschläge vereiteln könnte, lange bevor die Täter selbst wissen, ob sie überhaupt zuschlagen. Zudem könnte er einer Forderung nachkommen, die vielen Spitzeln nach dem Mauerfall allerorten entgegenschlug: „Stasi in die Produktion“.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zur IM-Mechanik? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER