Im Kern eine falsche Prognose?

Das Bremer Verwaltungsgericht gab gestern zu erkennen, dass der Togoer im Kirchenasyl wenig Chancen auf Bleiben hat. Grüne fordern Härtefallkommission

Der Richter sagt: „Keiner von uns ist mit der Gabe der Prophetie geschlagen.“

Bremen taz ■ Der togoische Oppositionelle John Agbolete soll Deutschland verlassen. Drei Monate bleiben ihm dafür – aber nur, wenn er seinen letzten Asylfolgeantrag zurückzieht. Das scheint das Äußerste, was der Flüchtling erwarten darf, dem die Christusgemeinde in Bremen-Vahr seit sechs MonatenKirchenasyl gewährt. Verwaltungsrichter Ingo Kramer ließ gestern erkennen, dass die Asylanerkennung des 40-Jährigen nach Maßstab der aktuellen Rechtsprechung nicht realistisch sei. Eine endgültige Entscheidung über die Asylklage des Togoers soll jedoch erst in zwölf Tagen fallen.

„Wir werden John Agbolete weiter schützen und unterstützen“, sagte eine Sprecherin der Christusgemeinde. Agbolete selbst musste sich gestern bei Gericht von seinem Anwalt vertreten lassen. „Wir konnten nicht riskieren, dass mein Mandant auf dem Weg zum Gericht festgenommen wird“, gab Anwalt Günter Werner zu Protokoll. Der Druck auf ein solches Verfahren sei enorm – mit der Polizei vor der Tür. Doch habe die CDU-geführte Innenbehörde für die Dauer des Prozesstages nicht von Verfolgung absehen wollen. Agbolete ist nach einer ersten erfolglosen Asylklage seit Dezember ausreisepflichtig.

Erst vor wenigen Tagen hatte der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion Rolf Herderhorst bekräftigt, dass Kirchenasyl rechtswidrig sei. Nur die „Achtung vor der Kirche“ halte die Polizei zurück, Menschen dort festzunehmen. „Herr Herderhorst will abschieben um jeden Preis – Grenzfälle und humanitäre Überlegungen spielen für ihn keine Rolle“, erneuerte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Karoline Linnert, gestern die Forderung nach einer Härtefallkommission. Diese könnte in Fällen wie Agboletes „unabhängig von formaljuristischen Argumenten Flüchtlingen ein Bleiberecht einräumen“. Die frühere ausländerpolitische Sprecherin der SPD, Güle Iletmis, wollte sich gestern im Gerichtssaal nicht äußern. Sie sei als Privatperson anwesend. Die SPD war mit ihrer Forderung nach einer Härtefallkommission bislang am Veto der CDU gescheitert.

Kirchengemeinde und Anwalt argumentieren nach wie vor, dass Agbolete als Mitglied der oppositionellen UFC höchst gefährdet sei. Ihn habe die regierungsnahe Zeitung Tingotingo in Lomé erst kürzlich namentlich erwähnt – als einen, der vom Ausland aus die Regierung Eyadéma bekämpfe. „Die Spreu gewinnt das Terrain“, hieß es da. Auch der frühere Vertreter der Norddeutschen Mission in Bremen, Eberhard Mische, erinnert sich an ein Gespräch mit togoischen Regierungsvertretern und Diktator Gnassingbé Eyadéma, bei dem er gefragt worden sei, warum er sich „für so einen“ wie Agbolete einsetze. Der Flüchtling in Bremen sei Eyadema persönlich bekannt, seitdem er sich an einer Protestveranstaltung gegen den Diktator bei der EXPO 2000 in Hannover beteiligt hatte. Dies habe der eigens angereiste Diktator übel genommen, da er nach anhaltender internationaler Kritik an Menschenrechtsverletzungen einen positiven Auftritt in Europa geplant hatte.

Eine schwierige Gemengelage gestand auch Richter Kramer ein: Verfolgung „in der Diktatur Togo“ sei oft unverhersehbar und irrational. Doch müsse Agbolete, „der von Deutschland Asyl will“, seine Gefährdung als „beachtlich wahrscheinlich“ nachweisen. Eine großzügigere Auslegung sei nur möglich, wenn der Flüchtling in der Heimat Folterungen erlitten hätte. Das sei nicht der Fall. „Das Verfahrensrecht hat für einen Asylfolgeantrag hohe Hürden aufgebaut“, gab der Richter zu bedenken.

Nur das sehr kleine Zeitfenster seit dem letzten Asylantrag könne berücksichtigt werden. Dass Agboletes Namen in Regierungskreisen bekannt sei, müsse unbeachtet bleiben: Das hätte früher eingebracht werden müssen. Nun seien die Fristen abgelaufen. Grundsätzlich räumte Kramer ein: „Das Gericht steckt in einer sonderbaren Situation.“ Es müsse „im Kern eine Prognoseentscheidung“ treffen. „Aber keiner von uns ist mit der Gabe der Prophetie geschlagen.“ ede