Melancholie des Erwachsenwerdens

Zoot-Woman-Mastermind Stuart Price hat das Gefühl zwischen Glück und Trauer entdeckt. Ein Gespräch über lügende Premiers, Madonnas Fitnessprogramm und die Frage, ob die Band beim morgigen Berlinkonzert wieder weiße Anzüge trägt

Interview ULF LIPPITZ

taz: Stuart Price, Zoot Woman sind vor zwei Jahren als Popper in weißen Anzügen angetreten. Steht die Band für ein neues Stilbewusstsein?

Stuart Price: Klar. Wir schätzen Stil und Eleganz. Man musste uns für die erste Platte nicht gerade in die weißen Anzüge zwingen. Das macht doch Spaß, sich aufzumotzen und in Uniformen herumzulaufen. Das passte gut zur Musik: klare Linien wie in unseren Songs.

Werden Sie die weißen Anzüge auch bei den kommenden Konzerten tragen?

Ich weiß noch nicht. Die neue Platte ist nicht mehr so konzeptionell angelegt wie das erste Album. Niemand möchte sich wiederholen – schon gar nicht im Auftreten.

Fühlen Sie sich als Trendsetter?

Absolut. Als wir anfingen, gab es niemanden, der sich so kleidete wie wir. Wir wollten das mit den Anzügen unbedingt durchziehen, weil wir unsere Differenz zu den anderen Bands auch optisch ausdrücken wollten.

Privat ziehen Sie sich auch gern schick an?

Oh Gott ja! Das finde ich großartig, wenn man sich abends für das Ausgehen zurechtmacht.

Gehen Sie mit den anderen Jungs, Adam und Johnny Blake, dann aus?

Klar! Es ist so: Wenn ich Mädchen kennen lernen will, gehe ich zu Johnny. Wenn ich mir Autos ansehen will, schaue ich bei Adam vorbei.

In einem Kommentar stand, dass sich die Londoner Kids dieses Jahr so auffallend stylen würden, weil Krieg in der Luft lag und ihnen das Gefühl gab, sie dürften keine Zeit versäumen, so schrill wie möglich zu sein. Sehen Sie das ähnlich?

Na ja, wer immer das behauptet, hat die Sache nicht hundertprozentig durchdacht. Aber der Gedanke hat was. Er gefällt mir. Wenn du nicht weißt, was morgen ist, kannst du dich heute etwas trauen, was du sonst nie tun würdest.

Wie hat Sie der Krieg persönlich beeinflusst?

Wahrscheinlich so wie jeden anderen auch. Man musste plötzlich kapieren, dass etwas Größeres im Gange war als etwas, was in deinem Studio oder deiner Wohnung passierte.

Machte es Sie hilflos?

Es gab ein allgemeines Gefühl von Hilflosigkeit in ganz England. Denken Sie an die Demonstrationen in London. Menschen gingen auf die Straße, weil sie nicht weiter wussten.

Die junge Generation endlich vereint?

Ja, nicht nur in London. Allerdings frage ich mich, ob die Kids wirklich begriffen haben, worum es ging. Ich habe viele Schulkinder gesehen, die einfach die Schule schwänzten, um bei den Märschen mitzumachen. Die 14-Jährigen fanden es aufregend, weil sie schulfrei hatten. Aber es ist wichtig, ihnen zu erklären: Krieg ist nicht gleich Ferien.

Wie sehen Sie ihre Generation?

Sehen Sie, ich glaube, Generationen verändern sich eigentlich nicht. Das einzige, was sich wandelt, ist der Fluss an Menschen, der durch eine bestimmte Zeitspanne hindurchgeht. Was einmal Mod war, kann heute Nu Metal sein. Irgendeinen Vergleich kann man immer ziehen. Für eine bestimmte Altersgruppe ist immer etwas interessant.

Ist Eskapismus heute noch wichtig?

Ich bin mir nicht sicher. Wir leben in einer Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs. Aber es ist so wie früher, wenn die Eltern Probleme hatten: Man redete nicht darüber. Dasselbe geschieht jetzt mit der Wirtschaft. Keiner will wirklich darüber sprechen. Das Ganze beschwört eher eine Bewegung zum Stillstand herauf.

Nichts tun ist nicht gerade progressiv.

Es gab immer eine Zeit, in der junge Menschen laute Musik machten, um zu zeigen, wie sie es hassten, in Großbritannien zu leben. Wir leben heute in einem England, dessen Regierung gerade auf dem absteigenden Ast ist. Die Menschen sagen: Blair ist ein Arschloch, ein Lügner! Aber wo ist die Alternative? Die Tories? Man steht vor der Entscheidung, den Schlimmen oder den Noch Schlimmeren zu wählen. Um das zu ändern, brauchte man wieder eine Jugendrebellion. Im Augenblick sehe ich aber so etwas nicht.

Sehen Sie pessimistisch in die Zukunft?

Nein, jede Situation bringt etwas Neues hervor. Eine Entscheidung: Jemand entscheidet sich für oder gegen Zoot Woman. Am Ende fühlt sich jemand inspiriert genug, um eine Entscheidung zu fällen und eine Option aufzuzeigen. Wenn ich ehrlich bin, gibt es doch schon so etwas zu beobachten hier. Leider verbucht die British National Front, eine rechtsgerichtete Partei, immer mehr Zuspruch. Und warum? Weil sie sich von allen anderen unterscheidet und den Menschen eine Option, wenn auch keine für mich akzeptable, bietet.

Ihre neue Platte klingt ernster als die erste.

Ich würde den Höreindruck eher mit Melancholie beschreiben – einem Gefühl zwischen Glücklichsein und Traurigkeit. Man beobachtet seine Gefühle, versucht sie zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren. Das ist der Prozess des Erwachsenwerdens.

Sie haben mit Madonna auf Ihrer Tour und dem neuen Album gearbeitet. Wirkt der Name Wunder?

Kommerziell absolut. Plötzlich wollen alle Leute mit uns reden – und wissen, wie sie ist.

Wie ist sie denn?

Sie ist tough – und viel lustiger, als man glaubt. In Interviews kommt sie oft sehr zugeknöpft rüber. Das liegt aber daran, dass jeder Witz in einem Interview zu ernst genommen wird. Im Studio war sie viel lockerer drauf.

Haben Sie ihr Fitnessprogramm mitgemacht?

Jeden Morgen, als wir während der Tour aufstanden, joggte Madonna schon über die Hotelflure unserer Etage. Nein, das habe ich mir echt nicht angetan.

„Introducing“ mit Zoot Woman, Blumfeld u. a., Sa. 16. 8., Columbiahalle, Columbiadamm 13–21, Tempelhof